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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder
Autoren: Hakan Lindquist
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sagte er und zeigte auf die Stereoanlage. »Ich bin gleich so weit .«
    Die Situation kam mir immer noch etwas unwirklich vor. Ich ging in seinem Wohnzimmer herum, betrachtete die Bilder und Schmuckgegenstände, las die Buchrücken und ging seine Schallplatten durch. Als ob ich hierher gehörte, als ob ich hier zu Hause wäre. Oder als ob ich jemand anderes wäre.
    Ich wählte zufällig eine Platte aus und war plötzlich von einem dumpfen Chor umgeben. Fremde Worte zu einer magischen Melodie. Meine Hände hörten auf zu zittern. Ich setzte mich aufs Sofa und schloss die Augen.
     
    »Jonas?«
    Ich zuckte zusammen. Er stand an der anderen Seite des Couchtisches. Ich hatte ihn nicht kommen gehört. Doch jetzt war er hier. Petr je tady .
    »Habe ich dich erschreckt ?«
    »Nein.«
    Ich sah ihn an, während er sprach, und ich erkannte ihn wieder von den Fotografien aus dem Fotoalbum meines Bruders. Sein Gesicht war etwas kräftiger als damals, als Paul ihn in Kammarviken fotografiert hatte. Aber das Profil war dasselbe. Und die dunklen Augen.
    »Du musst entschuldigen, aber ich war wirklich schockiert, als ich die Tür öffnete .«
    »Dachtest du, es sei Paul ?«
    Petr lächelte. Das Lächeln war dasselbe wie auf dem Foto. »Nein. Das nicht. Ich habe erkannt, dass du es warst. Aber ich hätte kaum erwartet, dass du hier auftauchen würdest. Wirklich nicht.«
    Ich sah weg. Petr ging zur Stereoanlage und drehte den Ton herunter.
    »Wie lange hast du vor zu bleiben? Ich meine, willst du ... hast du vor, bald wieder nach Hause zu fahren ?«
    »Ich weiß nicht«, murmelte ich. »Ich wollte dich nur treffen .«
    Er sah mich eine Weile an. Dann lächelte er.
    »Du, Jonas«, begann er. »Ich wollte mich eigentlich nachher mit einem Arbeitskollegen treffen. Aber ich werde ihn anrufen und sagen, dass ich verhindert bin. Ist das in Ordnung? Ich meine, dann hätten wir etwas Zeit, um miteinander zu reden, du und ich .«
    Ich nickte nur.
    Petr lachte auf und setzte sich neben mich.
    »Schau nicht so bekümmert«, bat er. »Ich bin nicht gefährlich. Und auch nicht verärgert. Auch wenn du das glaubst. Ich war nur so unglaublich verblüfft, als ich dich sah .«
    Er streckte seine Hand aus und berührte meinen Arm. »Ich wollte dir wirklich auf deinen Brief antworten«, fuhr er fort, »aber ich wusste nicht, was ich schreiben soll. Du hast geschrieben, dass du über deinen Bruder sprechen willst. Dass du etwas über deinen Bruder erfahren willst. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich von ihm erzählen will. Es ist schwierig für mich, das musst du verstehen. Es ist immer noch schwer, an Paul zu denken. Aber ... wir können es versuchen. Jetzt, wo du schon mal da bist.«

DREIUNDZWANZIG
    Nachdem wir Kaffee getrunken hatten , führte Petr mich in dem kleinen Haus herum. Hin und wieder blieb er stehen und erzählte etwas zu einem Bild oder was immer wir uns gerade ansahen. In seinem Arbeitszimmer hingen zwei ovale Rahmen.
    »Das sind meine Eltern:«
    »Adam und Daniela«, sagte ich.
    Petr lachte verwundert. »Woher weißt du das ?«
    »Ich habe es irgendwo gelesen .«
    Petr starrte mich an. Dann lächelte er plötzlich.
    »Aha! Ich glaube, ich verstehe .«
    Ich lächelte etwas geniert.
    »Du hast Pauls Tagebuch gelesen, oder ?«
    Ich nickte. Petr lachte, seine dunklen Augen funkelten. Einen Moment. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
    »Gott, wie ihr euch ähnelt«, murmelte er.
    Ich sah zu Boden. »Entschuldige. Ich ... ich wollte nicht...«
     
    Wir saßen nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer. Ich hatte die Fotografien aus Pauls Schatzkiste hervorgeholt und sie Petr gezeigt. Ich hatte von meinem Bruder erzählt, wie mein Bild von ihm sich über die Jahre hindurch verändert hatte. Und ich hatte erzählt, wie ich das Tagebuch und die Fotografien gefunden hatte.
    Petr lachte. Ich begann, mich ruhiger zu fühlen.
    »Du bist ja ein richtiger Sherlock Holmes«, sagte er. »Wann war das eigentlich ?«
    »Das ist ziemlich lange her«, sagte ich und dachte nach. »Nein, vielleicht nicht ganz so lange. Zuerst habe ich die Fotos gefunden, dann das Tagebuch .«
    »Soso. Und erst da hast du das gefunden, dem du entnehmen konntest, dass ich existiere, oder ?«
    Ich war verwirrt über seine Art zu fragen. »Irgendwie schon .«
    »Das war eine kryptische Antwort. Was bedeutet das ?«
    Ich räusperte mich und hustete, um Zeit zu gewinnen. Aber trotz meines Zögerns spürte ich, dass ich Petr nicht anlügen wollte - nicht anlügen konnte.
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