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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder
Autoren: Hakan Lindquist
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Paul widerfahren ist ?«
    Ich überlegte einen Moment. »Es ist schwierig, das zu erklären. Es ist nur ein Gefühl. Ein fast wehmütiges Gefühl. Ich habe ein bisschen das Gefühl, mehr über Paul zu wissen, als ich wissen sollte. Ich weiß mehr über ihn, als ich erzählt bekommen habe. Es ist, als ob mein Bild von Paul nicht nur auf den Erzählungen der anderen oder auf dem beruht, was ich in seinem Tagebuch gelesen habe, sondern auch noch auf irgendetwas anderem. Als ob es noch einen anderen Weg gäbe. Von Paul zu mir, meine ich. Einen Rückweg sozusagen. «
    Petr nickte. »Ja«, antwortete er. »Vielleicht tut es das. Wer weiß ?«
    Dann schwiegen wir. Der Regen ließ nach und kurz darauf hörte er auf.
    Ich griff nach meiner Tasche und öffnete die Autotür.
    Petr streckte seine Hand aus und strich mir über die Wange. »Bis bald!«
    Ich stand noch auf dem Parkplatz und sah, wie Petr die Straße hinunterfuhr zur Ausfahrt der Hauptstraße, wo er aus meinem Blick verschwand.
    Ich fühlte mich zerbrechlich; ich war - gleichzeitig - sowohl glücklich als auch traurig. Glücklich darüber, ihn getroffen zu haben, traurig - oder besser wehmütig - darüber, dass ich nun keine weiteren Anhaltspunkte mehr hatte bei meiner Suche nach Paul. Petr war der letzte Anhaltspunkt. Jetzt blieb nur noch ich.
     
    Ich öffnete die Haustür. Es war völlig still in der Wohnung. Ich zog meine Jacke aus und stellte die Tasche in mein Zimmer. Aus der Küche hörte ich ein leichtes Rascheln.
    Es war Papa. Er las gerade die Abendzeitung.
    »Hallo !« , rief er erstaunt aus, als er mich sah.
    »Ich dachte, es wäre Sara, die nach Hause kommt. Sie ist vor ein paar Stunden zu Else rüber .«
    Ich setzte mich ihm gegenüber.
    »Hattest du Spaß ?«
    »Ja!«
    Er legte die Zeitung zur Seite. »Ich dachte, du würdest erst morgen wiederkommen .«
    »So? Ja, wir ... wir hatten noch nicht bestimmt, wann ich nach Hause komme. Es ergab sich halt so .«
    Und dann entstand plötzlich dieses merkwürdige Gefühl der Leere, das immer aufkam, wenn ich mit Papa allein war. Es schien, als hätten wir nichts gemeinsam. Obwohl wir Vater und Sohn waren. Ich fühlte mich irgendwie schuldig, als wäre es mein Fehler, dass wir nichts hatten, worüber wir reden konnten, dass wir einander nichts zu sagen hatten.
    Eine Weile schwiegen wir. Als ob wir auf etwas warteten. Dann stand ich auf und ging ins Wohnzimmer, um Daniel anzurufen. Papa widmete sich wieder seiner Zeitung.
    Ich stand mit dem Hörer in der Hand und wartete, dass er abnahm. Aber er war nicht zu Hause.
    Ich legte den Hörer auf und ging in die Küche zurück.
    Papa sah auf. »Hat niemand abgenommen ?« Ich schüttelte den Kopf und brummte etwas.
    Dann fragte ich: »Magst du auch ?« , und goss mir eine Tasse Kaffee ein.
    »Nein danke. Ich habe gerade eine Tasse getrunken .«
    Ich fühlte, wie seine Blicke mir folgten, als ich die warme Tasse aus der Küche ins Wohnzimmer balancierte.
    Nach einer Weile kam Papa herein und setzte sich in den Sessel.
    »Da du ja nun schon heute Abend nach Hause gekommen bist, könnten wir doch morgen einen Spaziergang machen«, begann er. »Nur du und ich. Wenn du nichts anderes vorhast, natürlich .«
    Ich sah ihn an. Ausdruckslos. »Wohin ?« fragte ich. Als würde es eine Rolle spielen.
    Er dachte einen Moment nach, bevor er antwortete. »Nun, wenn du möchtest, könnte ich dir den Fuchsbau zeigen, wo Paul die drei jungen Füchse gesehen hatte .«
    Ich verschüttete beinahe den Kaffee. »Weißt du denn, wo der ist ?«
    Er nickte. »Natürlich. Wir waren zusammen dort, Paul und ich. Er zeigte ihn mir ein, zwei Wochen, nachdem er ihn entdeckt hatte. Dann waren wir mehrmals dort, bevor ... « Er beendete den Satz nicht.
    »Ach so, das wusste ich nicht«, sagte ich und wandte den Blick zum Fernseher und dem Foto von Paul.
    »Ich weiß nicht, ob er noch benutzt wird«, fuhr Papa fort. »Ich bin in diesem Frühling nicht hingegangen. Aber vielleicht wäre es ja schön für dich, den Bau trotzdem zu sehen, oder? Und den Stein, auf den er geklettert ist, bevor er die Füchse bemerkt hatte.«
    Die dünne Gardine vor der geöffneten Balkontür bewegte sich im Luftzug, die Schatten des hellen Stoffes wurden im Glas des Fotorahmens reflektiert und gaben dem Gesicht meines Bruders Leben. Er lächelte. Und sah mich an.
    »Ja, das wäre schön. Das wäre wirklich toll .«
    Und Papa lächelte.

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