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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder
Autoren: Hakan Lindquist
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    »Glaubst du wirklich ?«
    »Ja, das tue ich .«
    »Gut.«

ZWANZIG
    An diesem Abend schrieb ich an Petr Sho ř elý. Nach meinem Besuch in der Zeitungsredaktion war ich zum Postamt gefahren. Ich weiß nicht, wie viele Telefonbücher ich gewälzt hatte, bevor ich seinen Namen fand. Und als ihn endlich gefunden hatte, war es ausgerechnet in dem Teil, der den Landkreis umfasste, in dem ich selbst wohnte. »Sho ř elý, Petr«, konnte ich lesen. Keine diakritischen Zeichen. Kein Titel. Aber eine Postadresse in einer Gemeinde ein paar Kilometer südlich der Stadt. Ich fühlte mich überglücklich, dass ich ihn gefunden hatte, und beschloss, ihm umgehend zu schreiben.
    Ich erzählte, wer ich war und warum ich Kontakt zu ihm aufnahm. »Ich möchte dich gern treffen. Bald. Möglichst, bevor die Schule wieder anfangt. Es gibt so vieles, das ich dich fragen möchte. Und ich habe einige Sachen, die ich dir gern zeigen würde. Bitte antworte bald .«
    Erst als ich das Kuvert zugeklebt und frankiert hatte, begann ich zu zögern.
    »Willst du jetzt noch mal raus ?« fragte Papa erstaunt. »Es ist schon fast zwölf .«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich will nur einen Brief einwerfen .«
    »Er wird deshalb nicht schneller ankommen«, sagte er. »Sie leeren die Briefkästen nicht vor morgen Nachmittag .«
    »Ja, ich weiß. Aber ich muss ihn heute Abend einwerfen .«
     
    In dieser Nacht träumte ich wieder von meinem Bruder.
    Er saß auf der Bettkante. Er beugte sich über mich und flüsterte meinen Namen.
    »Ja?«
    »Komm mit«, sagte Paul. »Es ist völlig sternenklar heute Nacht .«
    Er nahm meine Hand und führte mich in die Nacht hinaus. Die Sterne funkelten stärker als jemals zuvor; sie schienen direkt über den Dächern und den Baumkronen zu schweben.
    »Siehst du, Jonas ?« , fragte Paul und zeigte ausladend in Richtung Himmel.
    »Ja«, antwortete ich. »Jetzt sehe ich .«
    »Weißt du, was du siehst ?« Ich schüttelte den Kopf
    »Das ist das Feuerwerk der Ewigkeit«, begann Paul. »Ein ewiges Feuerwerk, das immerzu verzaubert. Ein Feuerwerk, das immer über unseren Köpfen stattfindet, auch wenn wir es nicht sehen. Es ist das Feuerwerk der Ewigkeit .«
    »Aber was ist dann die Ewigkeit ?« , wollte ich wissen.
    Paul antwortete nicht. Er lächelte.
    »Ist sie ein Wesen ?« , fuhr ich fort zu fragen.
    »Oder eine Kraft? Oder ist sie vielleicht ein Gott ?«
    Er schüttelte den Kopf
    »Nein, die Ewigkeit ist kein Wesen. Und auch kein Gott. Möglicherweise eine Kraft. Die Ewigkeit, das sind unsere Gedanken und Wünsche .«
    » Aber weshalb war die Ewigkeit in dich verliebt ?«
    »Die Ewigkeit liebt alles, das in der Zeit gefangen ist. Auch in dir, Jonas. Die Ewigkeit sieht dich. Sieht deine Augen. Aber deine Augen sind in der Zeit gefangen. Die Ewigkeit kennt keine Zeit, die Ewigkeit bewegt sich jenseits aller Zeit und kann deshalb nicht durch deine Augen sehen. Deswegen liebt die Ewigkeit dich und alle, die die Zeit erleben .«
    »Aber dann müsste ich doch auch bei dir sein ?«
    »Eines Tages kommst du hierher. Aber das dauert. Das eilt nicht. Die Ewigkeit kennt keine Eile. Das liegt in ihrer Natur .«
    »Aber wenn die Ewigkeit keine Eile kennt, warum bist du so früh gestorben ?«
    Paul zuckte mit den Schultern. Und lächelte.
    »Nun, das passierte halt«, antwortete er. »Ich stand dort und dachte an die Ewigkeit und an die Sterne und an das Verliebtsein und dann ... «
    »Und Petr?«
    Paul strich mir über die Wange. »Petr«.fliisterte er. »M ů j brat ř e .«

EINUNDZWANZIG
    Die Sommerferien waren vorüber, und das Herbstsemester begann, ohne dass ich etwas von Petr hörte. Eine Zeit lang dachte ich darüber nach, ihm einen weiteren Brief zu schicken, aber daraus wurde dann doch nichts. Ich hatte ihm nichts Neues zu schreiben, es wäre nur eine Wiederholung des ersten Briefes gewesen.
    »Bekümmert dich etwas ?« , fragte Mama eines Tages.
    »Na, nicht direkt.«
    Sie sah mich forschend an. »Ist es das Kreuzworträtsel ?«
    Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
    »Irgendwie schon. Aber nicht nur das.«
    »Ach? Möchtest du erzählen, was es ist ?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wirst du es mir erzählen, wenn alles fertig ist ?«
    Ich begegnete ihrem Blick. »Vielleicht«, antwortete ich. »Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
     
    Ich lag auf meinem Bett. Auf dem Nachttischchen stand der blaue Austin. Ich streckte meine Hand aus und nahm ihn, drehte das rote Plastiksteuer und betrachtete die Räder, die
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