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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder
Autoren: Hakan Lindquist
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herumschwenkten. Vor und zurück. Hinter der verkratzten Windschutzscheibe konnte ich die beiden Plastikfiguren erkennen. Ich hielt das Auto dichter vor meine Augen und lächelte; es war immer noch unmöglich, den Gesichtsausdruck der Figuren zu erkennen. Und ich erinnerte mich, dass ich mich manchmal, als ich klein war, fragte, ob die Figuren glücklich oder traurig waren.
    Und dann dachte ich an Petr.
    Und dann entschloss ich mich.
    Mama saß am Küchentisch.
    »Magst du auch einen Kaffee ?« , fragte sie. »Es reicht noch für dich .«
    Ich goss mir eine Tasse ein und setzte mich ihr gegenüber.
    »Du, Mama«, fing ich nach einer Weile an.
    »Ich hatte vor, dieses Wochenende einen Freund zu besuchen .«
    »So? Wen denn?«
    »Einen Jungen aus der Schule«, log ich. »Er wohnt in P å skallavik. Ich wollte den ersten Bus nehmen. Also, am Samstagmorgen.«
    »Wirst du über Nacht bleiben ?«
    Ihre Frage überrumpelte mich; soweit hatte ich nicht gedacht. Aber ich glaube, es gelang mir, meine Maske der Ruhe und Unbeteiligtheit aufrechtzuerhalten.
    Ich begegnete ihrem Blick.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Wir haben noch nicht darüber gesprochen. Es hängt davon ab, wie spät es wird .«
    Mama lächelte. »Was wollt ihr machen ?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Zusammen sitzen und quatschen. Platten hören und so .«
    »Das hört sich schön an«, sagte Mama. »Ich hoffe, ihr habt Spaß .«

ZWEIUNDZWANZIG
    Der Busfahrer drehte sich um und winkte mir zu. »Hier ist es«, sagte er.
    »Danke für die Hilfe«, sagte ich und stand auf. Der Bus hielt an. Die Türen öffneten sich. Und ich stieg aus.
    Ich stellte die Tasche ab und sah mich um. In einem Garten, einige hundert Meter von der Haltestelle entfernt, erhob sich eine gigantische Statue; eine Menschengestalt in schimmerndem Blau. Fast dieselbe Nuance wie mein alter Austin, dachte ich. Ein blauer Junge aus Glas.
    Ich kramte die Karte aus der Tasche hervor. Der Garten mit der Glasstatue war mein Wegweiser. Ich sah auf die Karte, dann drehte ich mich um und zählte die Seitenstraßen.
     
    Es war ein kleines Holzhaus in einem schattigen Garten. Fast wie ein Sommerhaus.
    Ich stand vor dem Gartentor. Eine verschnörkelte aufgemalte Fünf auf dem Briefkasten sagte mir, dass ich richtig war. Mit zitternder Hand öffnete ich das Gartentor.
    Es fühlte sich unwirklich an. Ich las den Text auf dem Namensschild neben der Klingel wieder und wieder. Eine lange Weile stand ich vor der Tür und traute mich nicht zu läuten.
    Das Bellen eines Hundes schreckte mich auf. Ich drehte mich um. Auf der anderen Seite des Weges stand eine alte Dame und sah mich an. Ihr fetter Hund bellte und zog an der Leine.
    Ich drehte ihnen den Rücken zu und klingelte. Nichts passierte.
    Ich klingelte noch einmal. Und der Hund bellte.
    Gerade, als ich den Knopf zum dritten Mal drückte, wurde die Tür geöffnet und Petrs dunkle Augen starrten mich verärgert an.
    Blitzschnell veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er schien völlig überrascht.
    »Hallo«, murmelte ich.
    »Mein Gott! «, seufzte Petr.
    Der Hund bellte böse.
    Petr beugte sich vor und sah zu der Dame mit dem Hund hinüber.
    »Komm rein !« , kommandierte er und öffnete die Tür, um mich vorbei zu lassen. Erst da bemerkte ich, dass er fast nackt war. Er hatte nur ein Handtuch um die Hüften gebunden.
    Verwundert betrachtete ich seinen Körper. Die Narbe - die sich von seiner linken Hüfte über den Brustkorb fast bis zur linken Brustwarze erstreckte - sah aus wie ein enormer Handabdruck. Und die Haut mit der merkwürdigen Farbe schimmerte leicht. Wie Seide.
    Petr schloss eilig die Tür und starrte mich an.
    »Ich ... ich bin Jonas«, stammelte ich. »Pauls Bruder.«
    Er machte einen Schritt zurück und murmelte etwas, das sich wie Kruzifix anhörte.
    »Ich war gerade auf dem Weg zur Dusche«, murmelte er. »Ich wollte ... « Er beendete den Satz nicht.
    »Störe ich dich ?« , war alles, was mir einfiel.
    »Stören ?« , wiederholte er. »Das weiß ich doch nicht. Noch nicht.« Er versuchte zu lächeln.
    Ich versuchte, meinen Blick von der sonderbaren Narbe zu wenden.
    Petr seufzte.
    »Entschuldige! Ich war völlig baff, als ich dich gesehen habe. Ich hatte nicht erwartet, dass ... Ach, komm rein! Du kannst hier ablegen. Und dann kannst du dich ins Wohnzimmer setzen, während ich dusche .«
    Ich nickte. Ich war peinlich berührt.
    Petr ging mir ins Wohnzimmer voran.
    »Wenn du magst, leg eine Platte auf«,
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