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Patterson James

Patterson James

Titel: Patterson James
Autoren: Todesschwur
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die als potenzielle Geschworene geladen waren,
dasselbe dachten.
    Geschworenenpflicht – dieses Wort hörte sich für sie an wie
»Grippe«. Oder »Herpes«. Ihr war gesagt worden, sie solle sich
um neun Uhr morgens im Bundesgericht am Foley Square
einfinden. Dort füllte sie die Formulare aus, feilte an ihren
Entschuldigungen und schlug eine Stunde mit einer Elternzeitschrift tot.
    Dann wurde gegen halb zwölf ihr Name von einem Justizbeamten in Uniform aufgerufen, woraufhin sie mit einer Reihe
anderer Unglücksraben mit unsicheren, entnervten Gesichtern in
einen großen Gerichtssaal im sechsten Stock getrieben wurde.
    Sie blickte sich um, versuchte abzuschätzen, wie viele zappelige, umherspähende Leute in die große Zelle gezwängt wurden.
Die Szene war wie ein Schnappschuss aus der U-Bahn-Linie 4
Lexington Avenue. Menschen in Arbeitskleidung – Elektriker,
Mechaniker –, Schwarze, Latinos, ein Chasside mit Käppchen.
Jeder versuchte, die Vertreter der Anklage und der Verteidigung
davon zu überzeugen, dass er nicht hierher gehörte. Zwei
wohlhabende Geschäftsleute in Anzügen tippten auf ihren
BlackBerrys und demonstrierten höchst eindeutig, dass sie weit
Wichtigeres zu tun hatten.
Sie waren es, um die sich Andie am meisten Sorgen machte,
und deshalb behielt sie sie argwöhnisch im Auge – diese
Kandidaten mit ihren bewährten, ausgefeilten Eins-A-Entschuldigungen, die ihnen als Freifahrtschein dienten. Schreiben ihrer
Chefs. Besprechungen mit Geschäftspartnern. Reisepläne.
Platzende Geschäfte. Eine schon vollständig bezahlte BermudaKreuzfahrt.
Natürlich war Andie nicht völlig mit leeren Händen gekommen.
Sie hatte ihr enges, rotes T-Shirt mit der Aufschrift »Bitte
nicht stören« angezogen. Es war das schäbigste Teil, das sie
besaß, aber hier ging’s ja nicht um die Wahl der Schönheitskönigin.
Hier ging es darum, sich entschuldigt verabschieden zu können. Auch wenn man dafür einen auf dumm oder naiv machen
musste.
Dann war da noch der Trumpf mit der alleinerziehenden
Mutter. Der war legitim. Jarrod war neun, ihr bester Kumpel und
derzeit ihre größte Nervensäge. Wer würde ihn von der Schule
abholen, seine Fragen beantworten, ihm bei den Hausaufgaben
helfen, wenn sie nicht für ihn da sein konnte?
Und schließlich gab es noch ihre Vorsprechtermine. Ihr Agent
William Morris hatte ihr allein für diese Woche zwei Termine
besorgt.
Um sich abzulenken, zählte Andie die Gesichter der Menschen, die intelligent und aufgeschlossen wirkten, ohne zu
vermitteln, dass sie eigentlich etwas Wichtigeres vorhatten. Bei
zwanzig hörte sie auf. Das gab ihr ein gutes Gefühl. Man
brauchte doch nur zwölf, oder?
Neben ihr beugte sich eine kompakte Latinofrau, die einen
pinkfarbenen Babypullover strickte, zu ihr herüber.
»Tschuldigung, aber wissen Sie, was das für eine Gerichtsverhandlung sein soll?«
»Nein.« Andie zuckte mit den Schultern und blickte sich zu
den Sicherheitskräften um. »Aber, wie’s aussieht, ist es was
Großes. Sehen Sie diese Typen da? Das sind Reporter. Und
haben Sie draußen die Absperrungen und diese Polizisten
gesehen, die überall herumwuseln? Hier gibt’s mehr Uniformen
als in der Umkleidekabine von der New Yorker Polizei.«
Die Frau lächelte. »Rosella«, stellte sie sich freundlich vor.
»Ich bin Andie.« Andie reichte ihr die Hand.
»Also, Andie, wie wollen Sie auf die Geschworenenliste
kommen? Haben Sie einen Plan?«
Andie blinzelte, als hätte sie nicht richtig gehört. »Sie wollen
tatsächlich ausgewählt werden?«
»Klar. Mein Mann sagt, man kriegt vierzig Dollar am Tag,
plus U-Bahn-Fahrt. Die Frau, für die ich arbeite, die hat eine
komische Art zu bezahlen. Also, warum nicht das Geld nehmen?«
Andie lächelte und zuckte nachdenklich mit den Schultern.
»Klar, warum nicht?«
Die Gerichtsdienerin kam herein, eine Frau mit schwarzem
Brillengestell und zusammengekniffenem Gesicht. Sie sah aus
wie eine alte Schulmeisterin. »Erheben Sie sich. Richterin
Miriam Seiderman.«
Alle drückten sich aus ihren Sitzen.
Andie beugte sich zu Rosella, als eine attraktive Frau um die
fünfzig mit Spuren von grauem Haar den Gerichtssaal betrat und
zu ihrem Platz ging. »Also, Rosella, wollen Sie wissen, wie Sie
genommen werden?«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
»Klar.«
»Schauen Sie einfach zu.« Andie stupste sie an. »Und tun Sie
genau das Gegenteil von dem, was ich tue.«

3
    Richterin Seiderman begann damit, jedem ein paar Fragen zu
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