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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
Autoren: Bernhard Albrecht
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wissenschaftlichen Gehalt des Manuskripts bezogen war« und er sich aus »persönlichen Gründen« zu diesem Schritt entschlossen hatte. Viele Jahre später sagte U. dazu auf Nachfrage nur dies: »Ich fand die Form, in der der Fall an die Öffentlichkeit gebracht wurde, nicht angemessen.«

    Sommer 2012. Hütters Arbeit war am 12. Februar 2009 im New England Journal of Medicine erschienen – trotz U.s E-Mail. Längst hatten sich die Geschehnisse um den »Berlin Patient« damals schon in der weltweiten HIV-Community verbreitet. Hochkarätige Fachleute hatten Hütters Ergebnisse lange vor der Publikation auf Kongressen diskutiert, niemand hatte an der Glaubwürdigkeit der Ergebnisse gezweifelt. Der Direktor hatte sich persönlich eingesetzt, Briefe geschrieben, einflussreiche Fürsprecher gesucht – und: Er hatte Hütter die ruhmreiche Position des Erstautors überlassen, ihn bis zuletzt nicht »abgeschossen«. Keineswegs selbstverständlich in der Welt der Wissenschaft.
    Weltweit gibt es bis heute keinen zweiten Patienten, an dem Hütters Therapieansatz geglückt wäre. Die Genmutation, die vor Aids schützt, gibt es zu selten, ebenso wie leukämiekranke Patienten, die HIV-positiv sind und für die sich zufälligerweise auch noch Dutzende oder Hunderte mögliche Stammzellspender finden. Es war ein Sechser im Lotto.
    Und doch war es Hütters Verdienst, als Erster zu beweisen, dass es möglich ist, Menschen von Aids zu heilen. In den USA fließen viele Millionen Dollar in Forschungsprojekte, die auf dieser Erkenntnis aufbauen. Die Ärzte versuchen, die Heilung per Gentherapie zu bewirken. Sie schleusen modifizierte Erbsubstanz in die Immunzellen ihrer Patienten und wollen so erreichen, was Hütter bei Tim Brown durch die Stammzelltransplantation erreichte: dass dort jene Andockstellen für immer verschwinden, die das HI-Virus als Türknauf benutzt, um ins Zellinnere zu gelangen.
    Gero Hütter, in den Medien gefeiert als »neuer Forschungsstar der Charité«, hat keinen Anteil an diesen Projekten. In Berlin wurde er nicht zum Oberarzt befördert, was fällig gewesen wäre nach seiner langen Zeit als Stationsarzt. Sein Antrag auf ein Forschungsjahr zur Weiterführung des HIV-Projektes wurde von der Charité abgelehnt. Seine Oberarztstelle erhielt er schließlich beim DRK-Blutspendedienst Mannheim, wo er neben seiner klinischen Tätigkeit weiter die Genmutation beforscht, die Menschen immun gegen Aids macht. Derzeit sucht er Spender für einen zweiten »Berlin Patient«.
    Aber er weiß, dass es in der Welt der Wissenschaft nicht reicht, einen weltweit gefeierten Meilenstein zu setzen, um Karriere zu machen. Man braucht einen bestimmten Charakter, muss mit den einflussreichen Leuten klüngeln und konzentriert sich am besten auf das Forschungsgebiet, in dem man sich seine ersten Sporen erworben hat: Für Hütter wäre das die Tumorforschung gewesen, nicht Aids.
    Seinem Patienten Tim Brown bot Hütter zwei Jahre später das Du an. Sie bezeichnen sich als Freunde und treffen sich auf Kongressen, auf denen Hütter seine Fallgeschichte vorträgt und Tim als Betroffener spricht.
    Heute lebt Tim mit seinen Habseligkeiten auf zehn Quadratmetern in San Francisco in einem Heim für Drogenabhängige und psychisch Kranke, das von Kakerlaken heimgesucht wird. Er hat einen neuen Lebenspartner gefunden, einen Jugendfreund, doch die Beziehung geht durch Höhen und Tiefs, er vermisst die Stetigkeit seines Lebens an der Seite von Matthias.
    Nach seiner schweren Hirnentzündung wird er wohl nie wieder arbeiten können. Doch er ist dankbar, dass er noch am Leben ist, und froh, dass er keine Medikamente gegen HIV mehr nehmen muss. Es war ein Leben nach der Stechuhr gewesen, jeden Tag die genauen Zeiten einzuhalten, bei jedem Schritt vor die Tür daran denken, ob er auch seine Tabletten eingesteckt hatte. In seinem heutigen Zustand würde er das möglicherweise nicht mehr hinbekommen.
    In seinem Blut ist das HI-Virus bis heute nicht mehr aufgetaucht. Anfang 2012 allerdings fand sein neuer Arzt, ein bekannter Aids-Forscher in den USA, Virusmaterial in Tims Darm und löste eine wissenschaftliche Debatte aus. Hatte die Infektion möglicherweise doch nur geschlummert? Das Virusmaterial aber, fand man durch weitere Untersuchungen heraus, stammte von einem genetisch andersartigen HI-Virus. Vielleicht hatte sich Tim erneut infiziert, wurde spekuliert. Als die Darmspiegelung in einem anderen Institut wiederholt wurde, fanden sich keine Viren mehr.
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