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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
Autoren: Bernhard Albrecht
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wollten, um ihm die Qualen zu ersparen, weigerte er sich zunächst, glaubte, er würde nie wieder erwachen. Stunden später gab er nach. Matthias kam, sie tauschten letzte Worte aus für den Fall, dass es ein endgültiger Abschied wäre.

    Entscheidend für die Suche nach einem geeigneten Stammzellspender sind Eigenschaften von Eiweißen auf der Zelloberfläche, die unter dem Kürzel HLA codiert werden. Sie müssen in hohem Maße zwischen Spender und Empfänger übereinstimmen. Weichen die Typen stark voneinander ab, besteht das Risiko, dass der Empfänger die fremden Stammzellen abstößt. Tödlich. Denn ein eigenes Immunsystem, das übernehmen könnte, existiert nicht mehr. Aber auch die Spenderzellen können ihren neuen Wirt angreifen. Ebenso tödlich.
    Vier Millionen Deutsche sind in fünf Spenderdateien erfasst, 17 Millionen gibt es weltweit. Die Chancen, fündig zu werden, variieren sehr von Mensch zu Mensch. Für jeden fünften Patient bleibt die Suche nach einem genetischen Zwilling ohne Erfolg.
    Igor Blaus Computer war mit allen Datenbanken der Welt verknüpft. Er würde schon jetzt mögliche Spender für Tim Brown suchen, auch wenn noch gar nicht sicher war, ob er je einen brauchen würde. Das gehörte zur Routine.
    Der Code, der Tims Leben retten sollte, bestand aus zehn Buchstaben und 16 Zahlen. Die Suche dauerte wenige Minuten. Als das Ergebnis auf dem Bildschirm erschien, rieb sich der Oberarzt verblüfft die Augen und rief Hütter zu sich.
    »Schau dir das an«, sagte er und drückte seinem Stationsarzt den Stapel Papiere in die Hand. »Du brauchst nicht nachzählen. 232 mögliche Spender!«
    Hütters Herz tat einen Sprung. Aus einer theoretischen Möglichkeit war eine reale Chance geworden. Er überflog die Zeilen und dachte wieder an die Zahl: Ein Prozent dieser 232 Personen wäre nach der statistischen Erwartbarkeit resistent gegen das HI-Virus – mindestens zwei mögliche Spender also, deren Stammzellen Tim nicht nur vom Krebs, sondern auch von der drohenden Erkrankung an Aids erlösen könnten.
    Als Hütter noch am gleichen Tag Tim seine Idee unterbreitete, hatte der die schwersten Tage seines Lebens noch nicht lange hinter sich. Er trainierte verbissen, um wieder zu Kräften zu kommen. Täglich absolvierte er seine Sit-ups auf der Turnmatte, die Matthias ihm mitgebracht hatte. Tim wusste bereits, dass seine Chancen nicht allzu gut standen. Der Krebs würde höchstwahrscheinlich zurückkehren, weil seine Chemotherapie wegen der Blutvergiftung nach zweieinhalb Zyklen abgebrochen worden war. »Mit HIV HABE Ich kein Problem«, sagte er. »Aber wenn Sie so einen Spender finden und ich wieder Krebs bekommen sollte, warum nicht?« Hütter verstand, dass Tim verhalten reagierte, vor allem natürlich wegen der beängstigenden Aussicht auf eine Stammzelltransplantation. Doch insgeheim hätte er sich ein wenig mehr Begeisterung erhofft.

    Sie nannten Daniel Nowak das »Riesenbrain«. Dabei war der junge Assistenzarzt schüchtern und bescheiden. Hütter hatte ihn in den klinischen Alltag eingeführt. Sie waren lose befreundet und gingen gelegentlich nach der Arbeit ein Bier trinken.
    Wenn Nowak dann von seinen Forschungsprojekten in der Molekulargenetik erzählte, war Hütter beeindruckt von dem wissenschaftlichen Sachverstand, gepaart mit einer akribischen Genauigkeit. Ein Technokrat, der im Labor Karriere machen würde, dachte er und fühlte sich an seinen eigenen Bruder erinnert. Nowak und er, Hütter, würden ein ideales Gespann geben. »Aber kein Wort davon in der großen Runde«, schärfte er ihm ein. Das Dreierteam für den Aufbruch ins Abenteuer war komplett: Hütter, Nowak, Blau.
    Sie brauchten einen Gentest, mit dem sie die möglichen 232 Spender auf HIV-Resistenz nachuntersuchen konnten. Es gab noch keinen am Markt. »Kein großes Ding«, sagte Nowak. An einem Nachmittag erstellte er am Computer den Bauplan für ein Molekül, das den gesuchten Genabschnitt in der Erbsubstanz finden würde. Er schickte die Formel zu einem Labor, wo es nach seiner Bauanleitung zusammengesetzt wurde.
    Jetzt also konnte er in der Erbsubstanz aller Spender denjenigen Abschnitt finden, auf dem das entscheidende Gen war – und musste nur noch eine lange bewährte Methode anwenden, um unter den vielen »normalen« Genabschnitten den einen zu finden, der mutiert war und den Code der HIV-Resistenz in sich trug.
    Dabei würde ihm die Kraft des elektrischen Stroms helfen. Denn das Gen der HIV-Resistenten war deutlich
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