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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
Autoren: Bernhard Albrecht
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Helmke Sears kaum Chancen, fünf Jahre zu überleben.
    Am 28. Januar 2013 sorgte eine Studie norwegischer Wissenschaftler in der hochrangingen US-Fachzeitschrift Annals of Surgery für großes Aufsehen. Die Ärzte berichten über 21 Patienten mit inoperablen Tochtergeschwülsten nach Darmkrebs, denen sie Lebern transplantiert hatten. In Norwegen war dies aufgrund der dortigen Gesetzeslage und eines »Organüberschusses« möglich.
    Nach fünf Jahren lebten immer noch 60 Prozent der Patienten. Ein sensationelles Ergebnis, verglichen mit den mageren Überlebensraten der Chemotherapie. Anders als bei Helmke Sears jedoch hatte die Krebserkrankung jener 21 Patienten zum Zeitpunkt der OP noch nicht erkennbar über die Leber hinausgestreut.
    Als Anthuber die Arbeit las, fühlte er sich bestätigt. In Deutschland sieht er jedoch wegen des vorherrschenden »Organmangels« auf absehbare Zeit keine Chance für Patienten mit derart fortgeschrittenen Krebsleiden, auf die Warteliste zu kommen.

Ruhm
    A ls Gero Hütter die Idee seines Lebens hatte, arbeitete er als Stationsarzt auf der Onkologie am Berliner Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Die Idee war so einfach wie genial, jeder seiner Kollegen hätte darauf kommen können, dachte Hütter. Er hatte Angst vor den Skeptikern, die sie ihm kaputtreden würden, ehe ein Projekt daraus entstanden wäre. Und vor den Ehrgeizigen, die die Macht hatten, ihm die Idee zu entreißen und so zu tun, als wäre es ihre.
    Hütter empfand sich damals als ein Nichts in der starren Krankenhaushierarchie. »Es ist wie im Schützengraben«, pflegte er zu sagen: »Wenn man den Kopf hochhält, fliegen einem die Kugeln um die Ohren.« Er rieb sich in der täglichen Stationsroutine auf und hatte wenig Zeit, sich um die Forschung zu kümmern. Am Klinikum Benjamin Franklin aber herrschte ein ehernes Gesetz: »Nur wer schreibt, der bleibt.«
    Mit 38 Jahren war Hütter noch nicht zu alt für eine wissenschaftliche Karriere, aber er fühlte sich oft so. Andere waren da schon Professoren oder Oberärzte mit eigenem Forschungsbereich. Es waren die mit den geradlinigen Wegen, Bestnote im Abitur, Medizinstudium mit 19, Doktortitel mit 25. Hütter hatte Haken geschlagen. Behütet aufgewachsen in einem bürgerlichen Elternhaus in der niedersächsischen Kleinstadt Celle, hatte er alle Chancen gehabt, früh seine Talente zu entdecken, aber die hatten sich damals noch versteckt.
    Immer sah er sich im Schatten seines fünf Jahre älteren Bruders, der die besseren Noten nach Hause brachte, früh eine große Vorliebe für die Mathematik entwickelte und für den es immer schon klar war, dass er einmal Ingenieur werden würde.
    Hütter träumte lieber davon, als Archäologe wie Heinrich Schliemann die Ruinen großer Städte auszugraben. Nach dem durchschnittlichen Abitur fiel er in eine Phase der Orientierungslosigkeit, in der er sich für Altertumswissenschaften an der Uni Köln einschrieb. Bald wusste er nicht mehr, wofür er das alles lernte – und beschloss, erst mal den Zivildienst hinter sich zu bringen. Im Krankenhaus beglückte es ihn, die Dankbarkeit der Patienten zu spüren. Er sammelte Wartesemester für das Studienfach Medizin und erhielt mit 23 Jahren endlich die Zusage der Freien Universität Berlin.
    Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte er Sinnhaftigkeit. Bald genügten ihm die Lehrbücher nicht mehr, er abonnierte so viele Fachzeitschriften, wie sein schmales Budget hergab.
    In einer las er 1996 einen Kongressbericht, der ihn in Staunen versetzte: Es gibt Menschen, die nicht an der Immunschwächekrankheit Aids erkranken können. Sie sind von Geburt an resistent. Ein erblicher Gendefekt schützt sie, der ihren Vorfahren vermutlich Vorteile beim Überleben der großen Seuchen Pest und Pocken beschert hatte. Schon Menschen in der Bronzezeit trugen die Mutation in sich. Über die Jahrtausende hinweg hat sie sich in Mittel- und Osteuropa verbreitet, unter Afrikanern und Asiaten kommt sie praktisch nicht vor. Jeder zehnte Europäer trägt ein mutiertes Gen in sich, aber das genügt noch nicht – für einen nahezu hundertprozentigen, körpereigenen Schutz gegen das HI-Virus muss auch das Schwestergen auf dem Schwesterchromosom mutiert sein. Das trifft auf ein Prozent aller Europäer zu – sie sind immun gegen Aids.
    Hütter merkte sich dieses Kuriosum aus irgendwelchen Gründen. Aids galt damals als eine untherapierbare, zum Tode führende Krankheit, und er hatte Angst davor. Niemals würde
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