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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Autoren: William Brodrick
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Schreibkraft bei der Umschrift die Wörter nicht mehr verstehen konnte.
    Auf jeder Seite fanden sich mehrfach Auslassungszeichen. Die Aussage war (nach ihrer beider Erfahrung) eine einzigartige Mischung aus Ehrlichkeit, Einsicht, richtigen Überlegungen und Selbstachtung. Am Ende, nachdem er alles geschildert hatte, was er wie und (was das Merkwürdigste war) warum getan hatte, sagte er zu den Beamten am Tisch: »Sehen Sie mal, ich weine«. Mit einer Hand befühlte er sein Gesicht, als ob es einem anderen gehörte. Inspector Cartwright erzählte, er habe es immer wieder gesagt und sich dabei im Raum umgesehen. Es war, als verkünde er eine besondere Leistung.
    »Am meisten haben mich die Passagen erschüttert, in denen er die Schuld auf sich nahm«, gestand Anselm. »Immer wieder betonte er, er habe seine Entscheidungen getroffen, niemand habe ihn dazu gezwungen, er sei sein eigener Herr. Es las sich wie Eitelkeit oder boshafter Stolz; als ob er so viel wie möglich von sich bewahren wollte, so grauenhaft es auch sein mochte. Und doch sagte er anscheinend an einer Stelle – fast unhörbar, nehme ich an, denn die Schreibkraft hatte den Satz in Fragezeichen gesetzt – ›Ich hatte nie eine Chance‹. Aber er erstickte alle Strafmilderungsgründe, bevor sie das Tageslicht erblicken konnten.« Anselm schlang den Umhang fester um und legte die Hände um die Knie. »War er tatsächlich frei, auch wenn er die volle Verantwortung für sein Handeln übernahm? Kann man verantwortlich sein, wenn die Seele so verwundet ist? Mir wird angst und bange bei dem Gedanken, dass die Entscheidungsfreiheit von heute schon durch das Unglück von gestern verwirkt sein könnte.«
    »Na ja, das mag so sein oder auch nicht«, sagte der Prior schlicht. »Als ich anfangs die Beichte abnahm, glaubte ich, die Wurzel alles Bösen sei immer eine Kränkung, nie eine Entscheidung – und daran halte ich nach wie vor fest, wenn ich kann. Aber ich habe ganz charmante Leute getroffen, die mir gesagt haben, dass sie aus freien Stücken, ohne sich auf vergangenes Unglück berufen zu können, gewissenlose Dinge getan haben. Und ich glaube ihnen. Die Gekränkten und die Freien: Beide schlagen Fensterscheiben ein. Aber es gibt ein kleines Terrain, auf dem sie gleichgestellt sind. Es mag ungerecht erscheinen, aber Vergebung steht dem einen wie dem anderen offen – nicht weil sie beweisen könnten, dass sie sie verdienen, sondern weil beide bereuen können. Früher habe ich es für einen Skandal gehalten, dass beide auf der gleichen Grundlage ohne weiteres Gnade finden können, obwohl der verdiente Lohn des einen den des anderen so weit übersteigt.«
    »Was hat dich bewogen, deine Meinung zu ändern?«
    Der Prior zwinkerte ihm zu. »Ein bisschen Selbsterkenntnis.« Er stand auf und bürstete sich mit der Hand den Umhang hinten ab. »Was Mr. Riley angeht: Wer weiß, wo er steht? Wir können nicht unterscheiden, wer wirklich frei ist und wer nicht oder worin der Unterschied besteht. Wir alle müssen uns irgendwie durchwursteln und dürfen, glaube ich, nicht vergessen, dass es letzten Endes nicht unsere Sache ist, Gnade zu gewähren.«
    Entschlossen ging Pater Andrew den Weg entlang, der von den Espen nach Larkwood führte. Er musste zu einer Besprechung, die Cyril anberaumt hatte. Sich Gräber anzuschauen sei eine hervorragende Vorbereitung darauf, sagte er.
    Die Wintersonne stand tief, und Wolken zogen über St. Leonard’s Field. Schnee lag in der Luft, und das Licht war seltsam rötlich.
    Das Rechtssystem würde die Frage nach Rileys Motiven und seiner verdienten Strafe mit erfrischender Klarheit abhandeln. Er würde Kritik, ein gewisses Maß an Mitgefühl und eine langjährige Haftstrafe bekommen, die, wenn man es recht überlegte, für Nancy eine Gnade war. Aber trotz seiner vielen Verbrechen empfand Anselm Mitleid mit Graham Riley. Er konnte das Bild eines Jungen, der bunte Steine und Kronkorken sammelte, nicht einfach abtun; eines Jungen, der einen Schürhaken in einen Teich warf, damit er nicht mehr zu sehen war. In gewisser Weise hatte Elizabeth sich erfolgreich neu erschaffen, überlegte er; das Gleiche galt für George. Sie waren weggelaufen und hatten neu angefangen. Aber Riley war hoffnungslos gescheitert. Er war nie aus Dagenham fort gekommen. Die Gerichte konnten ihn nicht mehr bestrafen. So hart das Urteil auch ausfallen mochte, es war nur Augenwischerei. Er war in vielerlei Hinsicht außer Reichweite des Gesetzes. Aber nicht außer Nancys
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