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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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Internetforen zum Film ausgerechnet das Attentat vom 30. Juli, dieser fast einzige aufgeklärte Anschlag der RAF , infrage gestellt: »Die Wahrheit wird man wohl nie mehr ganz erfahren«, hieß es dort oder: »Wer erinnert sich schon genau?« und: »Ob das alles genauso war, wird man wohl nie mehr ganz wissen«. Ein »Aufklärungsfilm« führt also zu Zweifeln an den noch lebenden Zeugen?!
    Und die Wahrheit der Hundertstelsekunde? Hat sie jemand wahrgenommen? Es gab sie in diesem Film: Horst Mahler raunt in Rom Andreas Baader, als dieser aufgeben will, aufmunternd zu: Wir haben gute Kontakte. Das war’s. Die Wahrheit der Hundertstelsekunde.

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Das Schweigen durchbrechen
Julia Albrecht
    Liebe Corinna,
    wo stehen wir heute? Seit dem Prozess gegen meine Schwester sind fast zwei, seit dem Mord an Deinem Vater mehr als drei Jahrzehnte verstrichen. Ist nicht längst alles gesagt und gedacht und geschrieben? Allein in den letzten paar Jahren sind Dutzende Bücher zum Thema erschienen. Können wir noch etwas Neues beisteuern?
    Als wir begonnen haben mit diesem Buchprojekt, schien es mir alles so logisch. Die beiden Seiten der Medaille zusammenzubringen. Einen Modus zu finden, das Gespräch zwischen uns in Gang zu setzen. Die Last der vergangenen Jahrzehnte – auch öffentlich – in den Blick zu nehmen, schien mir sinnvoll. Als könnten wir dadurch ein Kapitel bundesdeutscher Geschichte aus einem weiteren, nicht bekannten Blickwinkel zeigen. Auch darüber zu schreiben, dass die rein rechtliche Aufarbeitung eben nur ein Aspekt ist, der mit der menschlichen Dimension, der menschlichen Katastrophe der Geschichte wenig zu tun hat.
    Das Schweigen zu durchbrechen war sicherlich ein Antrieb. Nicht nur dem Schweigen der Jugendjahre etwas entgegenzusetzen, sondern auch dem Schweigen, das bis heute die Aufklärung ganzer Tatkomplexe, aber auch der Motive, Ursachen und Gründe überdeckt.
    Ich hatte den Eindruck, dass es auch um Versöhnung zwischen den Familien – den Pontos und den Albrechts – ging. Wir werden zwar nie befreundet sein können, wie es unsere Väter waren. Aber Freundschaften übertragen sich ja auch sonst nicht unbedingt auf die Kinder.
    Ohne Dich hätte ich dieses Buch nicht geschrieben. Ich hätte es als anmaßend empfunden, nur meine Perspektive darzustellen.
    Das alles stimmt auch heute noch für mich. Und dennoch fürchte ich mich. Und würde am liebsten alles zurücknehmen und ungesagt sein lassen. Es geht alles gleichzeitig viel zu weit und springt doch viel zu kurz.
    Das ist vielleicht anders für Dich? Vielleicht hast Du nicht den Eindruck, jemanden auch schützen zu müssen. Ich fühle mich ja meiner Familie, meiner Schwester tief verbunden. Ich kann nicht alles sagen oder schreiben, ich kann nicht anklagen wie Du. Ich bin ja ein Teil der Familie. Du kannst viel klarer sagen, was gut und was schlecht ist. Das kann ich nicht. Hinzu kommt das Problem, dass alles, was man zu diesem Thema sagt, eingeordnet wird in die Schubladen von rechts und links, von konservativ und progressiv. Man wird so schnell festgelegt.
    »Täterangehörige« und »Opferangehörige« – diese Rollen bringen verschiedene Perspektiven mit sich. Du hast Deine Privatsphäre immer vor mir geschützt. Zu Beginn erschien mir das völlig einleuchtend. Ich habe das so verstanden, dass ich, als Schwester von Susanne, Dir nicht zu nahe kommen durfte. Dass da eine – wie auch immer geartete – Angst mitspielte. Jetzt, nach all der Zeit, nach der gemeinsamen Arbeit an diesem Buch, frage ich mich, ob ich in Deinen Augen noch immer in erster Linie die Schwester meiner Schwester bin.
    Oder ist es genau andersherum? Eigentlich warst Du es, die immer wieder Angebote gemacht, gemeinsame Treffen, sogar mit Deiner Mutter, vorgeschlagen hat, auf die ichnicht eingegangen bin – letztlich wohl, weil ich mich vor dieser Begegnung scheute.
    Du sagst, dass die Opfer keine Geschichte haben. Dass die Täter im Mittelpunkt stehen. Das stimmt natürlich. Aber man kann die Täter und die Opfer nicht vergleichen. Die Täter umgibt der Ruch des Unheimlichen. Bis heute sind die Fragen nicht beantwortet nach dem »Warum?« und dem »Wie konnte es geschehen?«, und so bleibt der Stachel. Während die Opfer nicht mehr am Leben sind. Sie behält man nur dann in Erinnerung, wenn sich ihre Angehörigen darum kümmern. Wie es bei Euch der Fall ist.
    Dass die Täter so viel mehr öffentliches Interesse in Form von Filmen, Büchern und Bildern binden, wird so
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