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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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derart mit Informationen versorgt wie heute. Und wir ringen – trotz einer Publikationsflut und endloser Talkrunden – nach Worten. Die Mythenbildung hat den Blick auf das Wesentliche verstellt. Nur so kann ich mir das erklären. Denn die Grundformel ist erschütternd simpel: Die Aktionen hatten System, und dahinter stand ein System. Das ist der Kern.
    Systematisch war der Angriff auf den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat mit dem Mittel der Vernichtung einzelner, genau ausgesuchter Vertreter dieses Staates und seiner Gesellschaft.

    Das System, das dahinterstand, waren Finanziers und Auftraggeber, deren Namen wir auch nach nun bald vierzig Jahren nicht kennen.
    Wenn ich heute die Zeitungsartikel aus den Augusttagen von 1977 lese, tauche ich in eine gespenstische Zeit ein, die ich so damals gar nicht erlebt habe. In diesen so bunten, fröhlichen und popbewegten Siebzigerjahren, der verankerten und gelebten Demokratie in Deutschland, gab es eine schwarzgraue politische Doppelebene des Undurchsichtigen, des Betruges, des Verrates, der Sabotage. Es ist die Zeit des kalten Krieges mit ihren Söldnern, und bei der RAF – Story handelt es sich nicht nur, wie so oft beschrieben, um einen Generationenroman, sondern mindestens gleichwertig auch um einen Geheimdienstroman.
    Zwischen den Zeitungszeilen finden sich schon erstaunliche Wahrheitsspuren, Hinweise auf Schlüsselfiguren wie die Anwälte Siegfried Haag und den bereits erwähnten Klaus Croissant. Ihre Büros waren Schaltzentralen der Terrorbande, und über sie lief die Koordination zwischen den Inhaftierten in Stammheim und den aktiven Terroristen.
    Siegfried Haag war stark propalästinensisch eingestellt. Jemen, Libyen, Irak, die jeweils engste Verbindungen nach Moskau hatten, organisierten den Terroristen ihr »Ausbildungstraining«, gewährten Unterschlupf, und manche Vertreter dieser Länder besuchten dieselben »Schulungszentren« in der DDR und in Polen wie die deutschen Terroristen. Seit 1973 half die palästinensische »Befreiungsbewegung« PFLP der RAF , sich zu restrukturieren. Im Südjemen wurde der terroristische Nachwuchs auch von Instrukteuren der DDR ausgebildet.
    Der zweite Mann der PFLP , Wadi Haddad, arbeitete seit 1970 unter dem Decknamen »Nationalist« für den KGB . Er stellte auch die Verbindung zu dem internationalen Terroristen Carlos her. In einer kleinen Zeremonie wurde Endeder Siebziger in Bagdad die Mörderin meines Vaters, Brigitte Mohnhaupt, mit dem Entführungskomplizen Peter-Jürgen Boock vermählt. Trauzeuge war Wadi Haddad.
    Die Arme des KGB reichten weit in diese Länder, zu denen im August 1977 auch Somalia gehörte. Nur die Lossagung Somalias von Moskau im September und hohe Geldflüsse aus Bonn machten die Einreise der GSG 9 nach Mogadischu und die Befreiung der Geiseln der entführten Lufthansa-Maschine »Landshut« überhaupt möglich.
    Politisch gesehen war es die Zeit zweier Machtblöcke, des kommunistischen Ostens und des atlantisch verbündeten Westens, die bestimmt war von einem Macht- und Wirtschaftskrieg der gesellschaftlichen Systeme und einem unterschwelligen Kampf der Geheimdienste. An der Oberfläche dieses Grundkonflikts tummelten sich »unsere« stets so großformatig dargestellten Terroristen. Das viel zu große Passepartout ihrer Bilder gab ihnen wahrscheinlich auch vor sich selbst eine Größe, die die Wahrnehmung auf wesentliche Zusammenhänge verstellt hat.
    Wenig bekannt sind auch die Geheimtreffen von Bonner »Regierungsvermittlern« mit Vertretern am Terror beteiligter Länder. Da gibt es schon vom November 1977 das Wischnewski-Protokoll zu einem Treffen des SPD – Politikers Hans-Jürgen Wischnewski mit zwei hohen Vertretern der PLO in Wien im Beisein des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky. Der in Arafats Sicherheitsstab tätige Ali Hassan Salameh, ein Drahtzieher des Anschlages auf die Olympischen Spiele 1972 in München, war einer der PLO – Delegierten. Der andere an dem Treffen Beteiligte war der enge Vertraute und Hausarzt Arafats, Issam al Sartawi, der übrigens schon zu seinen Düsseldorfer Studienzeiten Kontakte in die deutsche Terrorszene pflegte. Der damals angestrebte Deal: Wenn Deutschland die PLO und Palästina anerkennt, würde man dafür sorgen, dass die RAF ihre Aktionen einstellt.

    Es war ganz gewiss kein deutscher »Baader Meinhof Komplex«, sondern ein international vernetzter Ost-West-Komplex. Ein System der professionell geschulten und eingesetzten
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