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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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lange bleiben, bis sie selbst oder ihre Kinder sich an die Arbeit machen, die todbringende Ideologie und deren Ursachen und Folgen aufzuarbeiten. Bisher ist das nicht wirklich geschehen.
    Deine Julia

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Fragen, die sich sonst
noch stellen
Julia Albrecht
    Es sind Fragen übrig geblieben für mich, die ich, angeregt durch Max Frisch, in einem »Fragebogen« festhalten will .
1.
  Haben Sie sich persönlich schuldig gemacht?
2.
  Finden Sie, dass die anderen endlich aufhören müssen, Sie an Ihre Schuld zu erinnern, so nach dem Motto: Muss nicht irgendwann auch einmal gut sein?
3.
  Angenommen, Sie sind Mitglied einer Familie, in der ein Familienmitglied ein schweres Verbrechen begangen hat – können Sie darüber hinwegkommen oder wissen Sie, was notwendig wäre, um darüber hinwegzukommen?
4.
  Kann man eine terroristische Tat als ein privat zu bearbeitendes Problem behandeln oder soll man es öffentlich aufarbeiten?
5.
  Angenommen, Sie sind Mitglied einer Familie, in der ein Familienmitglied ein schweres Verbrechen begangen hat, sollen Sie die Tat auch dann öffentlich behandeln, wenn manche Familienmitglieder es nur im Privaten aufarbeiten wollen?
6.
  Was ist Ihnen wichtiger: Ihre Familie oder die Wahrheit?
7.
  Was ist Ihnen wichtiger: ein vermeintlicher Familienfrieden oder eine vermeintliche Wahrheit?
8.
  Haben Sie jemals darüber nachgedacht, ob Versöhnung möglich ist?
9.
  Angenommen, Versöhnung ist möglich, wie stellen Sie sich diese vor? Denken Sie eher an ein Ritual, also zum Beispiel daran, dass die Schuldige am Boden kniet und Sie um Vergebung bittet und Sie ihr dann vergeben, oder meinen Sie, dass Versöhnung nur gesprächsweise zu erreichen ist?
10.
Angenommen, Versöhnung ist gesprächsweise zu erreichen: Sollte man vorher klare Bedingungen stellen, oder meinen Sie, dass sich die beiden Seiten voraussetzungslos begegnen sollten?
11.
Angenommen, Versöhnung ist möglich: Wer muss dafür mehr tun, die Person, die sich schuldig gemacht hat, oder die Person, an der sie schuldig geworden ist?
12.
Was ist der Unterschied zwischen versöhnen und verzeihen?
13.
Können Sie nicht einfach verzeihen, und dann ist alles gut?
14.
Fürchten Sie sich davor, dass Ihre Kinder Ihnen später vorwerfen könnten, zu sehr auf Aufklärung gesetzt und dabei nichts erreicht zu haben?
15.
Heilt die Zeit alle Wunden?

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Eine Geschichte – zwei Stimmen
Corinna Ponto
    Liebe Julia,
    kürzlich legte ich die Jeans meines Sohnes zusammen. Auf die Hosentasche war » Guerilla POP « gedruckt, das hatte ich bisher übersehen; die Buchstaben waren schon ganz ausgebleicht. In dem »O« von » POP « prangte ein roter Stern. Ich überlegte, die Hose auszusortieren, ließ es aber bleiben. Es war seine Lieblingshose. Die Schrift ist doch so blass und fällt kaum auf, redete ich mir ein.
    Ich erinnerte mich an das letzte Schulkonzert, bei dem ein Freund aus dem Schulchor ein Che-Guevara-T-Shirt trug. Da habe ich auch nichts gesagt. Ich glaubte, nicht die Kraft für eine große Diskussion zu haben.
    Heute versuche ich, langsam und behutsam, eine erklärende Sprache für meine Kinder zu finden. Sie wissen, dass es eine internationale Terrorbedrohung gibt, und ich fange an zu erzählen, dass diese Zeit auf einer anderen Ebene schon in den Siebzigerjahren begann …
    Eine Geschichte – zwei Stimmen, lautete der erste Arbeitstitel unseres Dialogs. Er gefiel mir immer und er gefällt mir auch heute noch. Weil er stimmt – und auch, weil er nicht stimmt. Unsere beiden Biografien sind schicksalhaft verwoben durch ein von beiden Seiten erlebtes Drama und jetzt durch unser neu aufgenommenes Gespräch. Diese unsere Beziehung ist nicht einfach – wir beide bringen unsere Last mit und auch unsere Bilder von sich und der anderen.
    Du stellst Fragen am Ende, stellst sie hin wie einen Spiegel, in den vor allem Du selbst schaust, aber Du möchtest auch, dass andere hineinschauen. Ich denke, mit diesem Buch hast Du auch eine Antwort gefunden. Du hast Dich in Deiner Familie positioniert, Du hast gezeigt, ich gehe diesen Weg mit Euch, auch mit meiner Schwester, die ich liebe. Ich schütze Euch, aber ich darf auch meine eigenen Fragen stellen – das bin ich.
    Ich glaube, Julia, das ist die wesentliche Antwort, die ich in diesen Fragen lese.
    Allein hätte ich es wohl nicht geschafft, den schweren Mantel über den Gefühlen abzulegen und in die Akten zu gehen. Unser Weg, der nicht immer ein gemeinsamer war, der sich auch in
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