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Pastetenlust

Pastetenlust

Titel: Pastetenlust
Autoren: Pierre Emme
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Wochenende beherrschte die erst anfangs letzter Woche
bekannt gewordene Erpressung einer großen Lebensmittelhandelskette die Schlagzeilen
der Tagespresse. Wie der riesige Konzern jetzt zugeben musste, war die erste
Forderung nach 10 Millionen Euro bereits vor drei Wochen eingetroffen, aber
zunächst nicht weiter ernst genommen worden.
    „Wir erhalten mehrmals pro Jahr derartige Schreiben von
irgendwelchen Spinnern“, soll der Vorstandsprecher die späte Einschaltung der
Polizei gerechtfertigt haben.
    Fünf Kunden mit
mittelschweren Vergiftungen, die sich nachweislich nach dem Verzehr von in
›BIGENI‹- Märkten erstandenen Krapfen eingestellt hatten, führten zu einem
leichten Meinungsumschwung bei der Konzernleitung. Als Reaktion auf ein
neuerliches Schreiben, in dem man eine Erhöhung der Dosis ankündigte und den
Betrag auf 20 Millionen hinaufsetzte, wurde eine private Security-Agentur
beigezogen. Als besonders provokant sollen die Bosse den quer über die
Botschaft geschriebenen Slogan des Unternehmens ›Billiger gehts nicht‹
empfunden haben. Noch dazu in blaugelb, den Farben des Konzerns.
    Die im Zuge einer fingierten Geldübergabe gestellte Falle
erwies sich als völliges Desaster und führte dazu, dass sich bereits drei Tage
später zwölf gesundheitsbewusste Wiener nach dem Konsum von strychningetränkten
Müsli der Handelsmarke ›Cheapy‹ mit schweren Vergiftungserscheinungen in
Spitalsbehandlung begeben mussten.
    Nun war der Deckel nicht
mehr länger auf demTopf zu halten. Die Polizei machte den Verantwortlichen
heftige Vorwürfe. Wie Palinski von Miki Schneckenburger wusste, sollte die
Staatsanwaltschaft gegen einige der Chefs sogar die Möglichkeiten einer Anklage
wegen fahrlässiger Körperverletzung prüfen. Was prompt zu einem Aufschrei der
Wirtschaft führte, die damit eine Gefährdung des Wirtschaftsstandortes
befürchtete. Da sich gleichzeitig auch in drei anderen Ländern der EU Vorfälle
nach dem im wesentlichen gleichen Muster ereigneten, wurden Stimmen laut, die
dahinter eine konzertierte Aktion der internationalen Terror-szene vermuteten.
Die erpressten Gelder könnten der dezentralen Finanzierung regionaler Aktionen
dienen, lautete schon bald die gängige, wenn auch nicht ganz unwidersprochene
Expertenmeinung.
    Die Folge dieser Entwicklung war die vor wenigen Tagen
erfolgte Einrichtung einer Sonderkommission im Innenministerium, der auch Dr.
Michael Schneckenburger angehörte.
    Die nächste Meldung war für Palinski völlig neu. Angeblich
hatte jetzt auch der zweite große Filialist, die ›MEFIG‹, was so viel wie ›Mehr
für Ihr Geld‹ bedeuten sollte, eine enorme Forderung erhalten. Mit den Worten:
›Wenns für einen zuviel ist, wollen wir eben 30 Millionen von zweien‹ wurde der
Druck neuerlich erhöht. Die Reaktion der Bevölkerung war durchaus ambivalent.
Einerseits schreckten viele vor dem Kauf von Krapfen, Müsli und anderen von
Experten als gefährdet angesehenen Produkten zurück. Andererseits gab es gar
nicht wenige, die sich heimlich die Hände rieben und den ›Großkopferten da
oben‹ die Bredouille durchaus gönnten, in der sie sich befanden.
    Ein älterer Mann war an Palinskis Tisch getreten. Es war Kurt
Brinek, genannt ›der Oberlehrer‹, weil er immer alles besser wusste. Er zählte
ebenso wie der Pepi, der Kaserer, die alte Frau Nessel und einige andere, deren
Namen Palinski nicht ganz geläufig waren, zu den Stammkunden, nein, eigentlich
zum Inventar des alten Wiener Kaffeehauses. Sie kamen nicht hin und wieder
hierher, sondern sie wohnten hier und gingen hin und wieder nach Hause oder
auch woanders hin.
    „Hallo Hocknstada“, der Spitzname stammte aus der ersten Zeit
seiner Arbeitslosigkeit, die Palinski häufig hier mit dem Studium der
Stellenanzeigen in den Tageszeitungen verbracht hatte. „Laung net gsegn“, der
Oberlehrer hatte ungefragt Platz genommen. Das war unter den Ureinwohnern hier
so üblich und Palinski war irgendwie stolz darauf, dazu gezählt zu werden.
    „Zvü Oabeit“ rechtfertigte sich Palinski, „und ka Göd.“ Er
lachte in Erinnerung an sein erstes Gespräch mit Brinek vor einigen Jahren.
Damals hatte ihn der Oberlehrer als ›a so a Großkopfata‹ abgestempelt, weil er
Hochdeutsch mit wienerischem Akzent gesprochen hatte. Diesen Vorwurf wollte
Palinski kein zweites Mal riskieren.
    „Nau, fia an Gspritztn wiads do no reichn“, der Oberlehrer
verdrehte mit gespielter
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