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Pastetenlust

Pastetenlust

Titel: Pastetenlust
Autoren: Pierre Emme
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außer dem Reisepass des Toten aber nichts gefunden.
    „Lettenberg, Jürgen Werner, geboren am 14.   4.   1963
in Reschitz“, las Wallner vor. „Na. um den Preis für den besten
Nachwuchs-Schauspieler scheint es sich aber auch nicht gehandelt zu haben.“
    „Wenn ich das sag, dann haut er mich zamm“, maulte ›Fritz‹ im
Hintergrund. „Aber selbst derf er die blöden Schmäh machen.“ Wallner überging
den, wie Palinski fand, nicht wirklich unberechtigten Einwurf und konzentrierte
sich auf die Leiche. Der Fotograf nahm seine Tätigkeit wieder auf und
verknipste einen weiteren Film mit dem sitzenden Körper. Auf Anregung Palinskis
und im Auftrag Wallners schoss er auch noch einige Bilder mit Perücke und
Brille.
    In der Zwischenzeit hingen bereits an mehreren der in den
Innenhof gehenden Fenster Menschen, die sich die unerwartete Abwechslung direkt
vor ihren Augen nicht entgehen lassen wollten. Palinski konnte auch zwei, drei
Ferngläser erkennen und überlegte, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die
Medien von dieser für Auflage und Quote zweifellos guten Nachricht Wind
bekommen würden. Dann konzentrierte er sich wieder auf den Leichnam und machte
eine interessante Feststellung und zwei ebensolche Beobachtungen.
    „Ich glaube, ich habe den Mann schon gestern Abend gesehen“,
war sich Palinski nach einigen Minuten Überlegens sicher. „Allerdings in der
ursprünglichen Verkleidung und in einem anderen Anzug.“
    „Eines nach dem anderen. Klären wir jetzt einmal, um welche
Uhrzeit du Lettenberg heute Nacht gesehen hast“, erinnerte Wallner. „Ehe wir
das vergessen. Den Rest erzählst du mir nachher.“

     
    *

     
    Als Krimischreiber habe ich mir angewöhnt,
alle Menschen und Situationen auf ihre ›dramatische Tauglichkeit‹ hin zu
prüfen. Das bedeutet beispielsweise, dass ich angesichts einer interessant
wirkenden Person überlege, welche dunklen Geheimnisse sie umgeben. Der Mann ist
mir sofort aufgefallen, als ich gestern Abend das Ristorante ›Mama Maria‹
betrat, den besten Italiener weit und breit. Das Lokal liegt exakt gegenüber
dem Haus, in dem sowohl meine Familie als auch ich wohnen, wenn auch nicht
zusammen. Seit meiner halbherzigen Trennung von Tisch und Bett hatte Maria
Bertollini, eine typische italienische Mama einen erheblichen Teil der
Verantwortung für meine alimentäre Versorgung übernommen.
    Verwöhnung wäre der treffendere Ausdruck für die angenehme
Situation, die mich allerdings rund zehn Kilogramm mehr am Skelett in den
vergangenen drei Jahren gekostet hat.

    Lettenberg saß an einem Tisch mit direktem Blick auf unser
Haus, ich am Nebentisch. Soweit ich das beurteilen kann, hat der Mann die ganze
Stunde, die ich für meine Lasagne und einen wunderbaren Branzzino, sowie einen
halben Liter weißen vino di tavola benötigte, den Haus-eingang nicht aus den
Augen gelassen. Ein gefundenes Fressen für meine Phantasie, die aus ihm
zunächst einen Geheimagenten vor dem Einsatz und dann einen betrogenen Ehemann
auf den Spuren seiner ungetreuen Frau machte.

    Als ich kurz nach 20 Uhr Mama Maria wieder verließ und in
den dritten Stock zu meinen Kindern stieg, saß Lettenberg noch immer da. Aus
heutiger Sicht erstaunt mich das ein wenig, sollte er doch bereits zwei Stunden
später am anderen Ende der Stadt seinen ›Viktor‹ entgegen nehmen.

    Wo ist denn bloß diese verdammte Programmzeitung? Endlich
finde ich sie unter der gestrigen Tageszeitung, die inzwischen schon am
Altpapierstapel gelandet ist.

    Das war es, die ›Golden Ladies‹. Die Sendung lief zwischen
1.45 und 2.15 Uhr. Da ich mich noch dunkel an den Abspann erinnere, wird es
wohl ein Viertel nach zwei Uhr gewesen sein, als ich den Hof überquert habe. Zu
dem Zeitpunkt muss Lettenberg also noch gelebt haben. Ich rufe mir das Bild
nochmals vor Augen und sehe die Blondine deutlich vor mir, wie sie sich
förmlich an seinen Lippen festgesaugt zu haben schien. Komisch, in meiner
Erinnerung ist da noch ein dunkler Fleck, ganz rechts am Rand des Blickfelds.
Zunächst unbeweglich, schien er sich plötzlich wegzubewegen. Da spielt mir die
Phantasie offenbar wieder einen Streich.

     
    *

     
    Wallner hatte inzwischen zwei seiner Mitarbeiter
zur Befragung der Hausparteien losgeschickt. Eine in Anbetracht der auf vier
Stiegen verteilten 45 Wohnungen eine recht zeitaufwendige Aufgabe, vor allem
auch, da die meisten Bewohner bereits das Haus verlassen hatten und erst
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