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Pastetenlust

Pastetenlust

Titel: Pastetenlust
Autoren: Pierre Emme
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meine de facto –
Schwiegermutter zu ärgern, habe ich sogar ›The Lancet‹ abonniert, um sie bei
den gelegentlichen Pflichtterminen bei der Großmutter meiner Kinder in
Verlegenheit bringen zu können. Nach einigen eindrucksvollen Demonstrationen
ihrer mangelnden Bereitschaft, sich laufend weiterzubilden konvertierte sie
schließlich zu einer eifrigen Leserin der Fachzeitschrift. Das bescherte uns
einige engagierte Diskussionen und brachte mir spät, aber doch ein wenig
Anerkennung auch von dieser Seite. Doch was war dieser ganze theoretische
Scheiß schon im Vergleich mit dem Anblick einer echten Leiche, und das schon
vor dem Frühstück.

     
    *

     
    Nachdem Palinski der Polizei die männliche
Leiche vor seinem Fenster gemeldet hatte, fuhr er rasch in eine bequeme Hose
und streifte einen Pullover über.
    Um die Bank mit dem leblosen, von Frau Pitzal streng
bewachten Körper hatte sich in wenigen Minuten ein mittlerer Menschenauflauf
gebildet. Neben einigen Kindern, die das Geschehen im Hof aufregender fanden
als die erste Schulstunde hatten sich auch mehrere Erwachsene eingefunden.
Darunter die komplette Mannschaft des Müllfahrzeuges, das mit laufendem Motor,
aber ohne Fahrer die Straße blockierte. Auf der begann sich bereits ein
veritabler Stau hinter einer am Weiterfahren gehinderten Straßenbahn zu bilden.
    Frau Pitzal, die den Kaffee in der Not offenbar auch ohne
Milch und Zucker trank, schien in ihrem Element zu sein. Die immer wieder an
sie gerichtete Frage nach der Todesart beantwortete sie geschickt mit dem
Hinweis darauf, dass „das Herz halt nicht mehr mitgemacht hat.“
    Inzwischen hatte sich die Nachricht vom toten Mann über den
Innenhof hinaus auf die Straße verbreitet. Was zur Folge hatte, dass die
Passagiere der nach wie vor an ihrer Weiterfahrt gehinderten Straßenbahn fast
vollständig das öffentliche Verkehrsmittel verließen und in den Hof strömten.
    Während sich Palinski mühsam einen Weg durch die schaulustige
Menge zurück ins Zentrum des Geschehens bahnte und dabei einige unfreundliche
„Net vurdrengan“ zu hören bekam, war in der Ferne bereits der durchdringende
Ton eines Martinshorns zu vernehmen.
    „Kaumma den Mau net aufsetzn?“, wollte Frau Pitzal wissen,
„damit i mi hinsetzn kau. Heut spia i die Hex wida gonz bsondas.“
    „Solange die Polizei nicht festgestellt hat, was hier
passiert ist, darf die Leiche nicht bewegt werden“, ermahnte Palinski den
geplagten Hausgeist. „Tut mir leid. Sie können sich aber in mein Büro setzen,
wenn Sie wollen.“
    Während die Pitzal noch überlegte, was schlimmer war, der
Verlust eines Platzes ›Fußfrei am Orchestergraben‹ oder die Schmerzen des
lästigen Hexenschusses, hatte der 12-Jährige Karli Berger aus dem 3. Stock die
ökonomischen Chancen der Situation erkannt.
    „Soll ich Ihnen einen Sessel holen, Frau Pitzal?“, machte er
ein Angebot. „Das kostet Sie nur 1,50 Euro.“
    Dankbar nickte die Befragte und Berger junior machte sich auf
den Weg. „Waunst scho gehst, bring ma a wos zum Sitzn mit. Mei Kreiz bringt mi
no um“, rief ihm ein älterer Herr nach. „Mia a“, tönte es noch von zwei
weiteren Seiten.
    Mit seinem reflexartigen „Für Hausfremde kostet das aber
2,50“ bewies der zukünftige Kommerzialrat ein für sein Alter erstaunliches
Verständnis für das Prinzip von Angebot und Nachfrage.
    „In Urdnung“, die Kunden akzeptierten den Preis. Einer meinte
sogar anerkennend, dass es „der Bua no weit bringan wiad.“
    Palinski kam es vor, als ob der Ton des Martinshorns immer
vorwurfsvoller, fordernder klang, ohne dabei wirklich näher zu kommen. Offenbar
war der Verkehr auf der Hauptstraße jetzt schon völlig zum Stillstand gekommen.
    Rund zehn Minuten später, Karli Berger hatte inzwischen
weitere sechs Küchenhocker, Campingsessel und andere Sitzgelegenheiten
vermietet, tauchten endlich zwei keuchende und erhitzt wirkende
Streifenpolizisten auf. Mit barschen Aufforderungen wie „Aus’m Weg, Sie
behindan die Oabeit dea Polizei“ kämpften sie sich durch die inzwischen auf
mehr als einhundert Menschen angewachsene Menge.
    „Wos is do los?“, bedrohlich baute sich der größere der
beiden Beamten vor Frau Pitzal auf, die auf dem Berger’schen Badezimmerhocker
saß und noch immer an ihrem inzwischen kalt gewordenen Kaffee nuckelte.
    Gelassen deutete die Hausmeisterin auf Palinski. „Der Herr
hier hat die Leiche gefunden“, stellte sie
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