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Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Titel: Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Autoren: Langen Müller
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alles mit meinem Entschluss zu tun gehabt haben, Wirtschaftswissenschaften studieren zu wollen, sagte sich der Manager im Flugzeug, wo das Essen mittlerweile abserviert war.
    Schon beim ersten Sonntagsessen in der Universitätsstadt hatte der Neffe seinen Onkel als bemerkenswerten, gemessen am Elternhaus originellen Mann empfunden. Er war, nicht körperlich, aber in der Wesensart, tatsächlich der Gegenentwurf zu seinem Vater. Er sprach beim Essen nicht über die gestiegenen Preise, sondern über die Qualität des Rindfleisches, er belehrte seinen Neffen, welche Art von Faserigkeit das Rindfleisch als Kochfleisch disqualifiziert. Von Beruf war er groteskerweise Beamter, Beamter im Finanzministerium in einer unteren Charge und, wie er immer wieder betonte, vorsätzlich unwillig, auch nur eine Stufe aufzusteigen. Er benützte seine Nähe zur Finanzwirtschaft nur zur pausenlosen, zynischen Glossierung aller Maßnahmen und gebrauchte bevorzugt das Wort »Trottelei«. Daher hatte er für die Studienrichtung seines Neffen gerne – allerdings unaggressiven – Spott übrig. Er sagte zum Beispiel das eine oder andere Mal: »Pass auf, dass du nicht auch so ein Trottel wirst.« Der Neffe erklärte, sich da sicher zu sein.
    Der Onkel bewohnte mit seiner Frau eine Dreizimmerwohnung in einem dieser großen Komplexe des sozialen Wohnbaus. Also waren die Zimmer klein und die Gegend nicht die erste Wahl. Aber es gab rundum Gaststätten, auch ordentliche, wie der Onkel genau zu unterscheiden wusste, und den wahrscheinlich »besten Metzger der Stadt«. Der Neffe fragte nicht nach dem etwaigen Schuldenstand.
    Die sonntäglichen Besuche bei Onkel und Tante wurden Ritual. Ja, es gab eine Tante, aber man hätte sie auch als Köchin mit Familienanschluss bezeichnen können. Ihre Kochleistung dürfte das wesentliche Motiv des Onkels gewesen sein, sie – in zweiter Ehe – zu heiraten. Der Neffe war auf Indizien angewiesen, wenn er sich die Frage nach dem Abhauen der ersten Frau stellte. Seine Eltern hatten einmal gemeint, sie wäre für ihn zu »kultiviert« gewesen, der Neffe neigte bald eher zur Annahme, er ihr zu ehrgeizlos. Die zweite Frau dachte sicherlich nicht in dieser Kategorie. Sie war eine gutmütige, anspruchslose Tochter slowakischer Migranten und beherrschte die Küche der österreichisch-ungarischen Monarchie aus dem Effeff. Sie hatte nur zwei, ständig wiederkehrende Gesprächsthemen. Die Sorge, ob ihre in die Ehe mitgebrachte Tochter, eine Tänzerin des Balletts des Musical-Theaters, von ihrem Dauerfreund, einem Zahnarzt, wohl geheiratet werden würde und ihre Bewunderung für die akademische Laufbahn ihres Neffen. Der Onkel ließ sie immer nur kurz am Wort bleiben, manchmal entschuldigte er sich für die vermeintliche Einfachheit der Speisen, besonders gegen Monatsende, wodurch der Neffe die Theorie der Budgetpolitik am kleinzelligen Beispiel mitstudieren konnte.
    Des Onkels beliebtestes Gesprächsthema waren die Vorgänge im Ministerium, die seiner Ansicht nach flächendeckende Dummheit und Unfähigkeit der Umgebung. Er selbst war in der Tat hochintelligent. Das musste der Neffe – zunächst schmerzlich – am Schachbrett erfahren. Eines Sonntags waren ihnen die Gesprächsthemen ausgegangen. Der Neffe wollte nicht unhöflich sein und mit frisch gefülltem Bauch sofort abhauen, da fragte der Onkel – ohne Hoffnung –, ob der Neffe denn Schach spiele. Zu seiner großen Freude bejahte der Neffe. Er hatte das Spiel von seinem Vater gelernt und gelegentlich mit einem Mitschüler praktiziert. Er hielt sich nicht für sehr gut, aber für satisfaktionsfähig. Denn der Mitschüler hatte ihm rasch bewiesen gehabt, dass er vom Vater nichts und wenn, dann was Falsches gelernt hatte. Er empfahl ihm auch ein traditionelles Schachschulbuch, das der Neffe auch – wollen wir sagen – flüchtig durcharbeitete. Aber immerhin war er in Abiturnähe unter den drei, vier Schach spielenden Kollegen schon ernst genommen.
    Der Onkel räumte ein schönes, handgeschnitztes Schach her, orderte streng zwei große Espressi und jammerte während des Aufstellens über das Verschwinden der Schachcafés und das Aussterben der Partner. Dann nahm er einen weißen und einen schwarzen Bauern in die Hände, schloss sie unter dem Tisch zur Faust und ließ den Neffen wählen. Der traf Weiß.
    »Freut mich«, sagte der Onkel. »Ich spiele für mein Leben gern Schwarz.«
    »Diesen Satz wirst du bald bereuen«, scherzte der Neffe.
    Nach 1. e4 e5 und 2. Sf3
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