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Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Titel: Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Autoren: Langen Müller
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wie Jazz funktioniert.
    Der Hobbyjazzer war hocherfreut über das Interesse und belehrte ihn. So erfuhr der Klavierschüler von einem für ihn völlig neuen Zugang zur Musik, dem Musizieren anhand der Harmoniesymbole, oder wie die Angelsachsen sagen, der »Changes«. Der Hobbyjazzer zeichnete ein paar Harmoniesymbole auf eine Papierserviette und zeigte dem Klavierschüler, mit welchen Griffen man die realisiert. Als der das Wort »Fingersatz« erwähnte, brach der Hobbyjazzer in Gelächter aus. Der wäre völlig uninteressant, sagte er, man greife so, wie es einem einfiele, wie es die Finger hergeben.
    »Und merk dir einen Satz, den mir einmal der« – er nannte einen bekannten Pianisten der Szene – »gesagt hat. ›Aus dem Ungeschick entstehen auch interessante Figuren!‹«
    Dann empfahl er noch eine ganz neue, plausible Jazzharmonielehre.
    Die besorgte sich der Klavierschüler am nächsten Morgen, eine Minute nach der Geschäftsöffnung des Musikalienladens. Dann raste er nach Hause und übte. Die Eltern waren über diese neuen Klänge entsetzt, erklärten das Schulgeld für die bisherige Ausbildung für »zum Fenster hinausgeworfen«. Sie hatten aber keine Chance mehr. Der Klavierschüler war in seiner musikalischen Heimat gelandet. Kraft seiner Intelligenz beherrschte er die Jazzharmonik in Kürze.
    Für den Professor übte er nur mehr sporadisch. Manchmal so wenig, dass er sich nicht in die Stunde traute und telefonisch krankheitshalber absagte. Einmal ging er zum Unterricht und bandagierte sich davor das Handgelenk, um wegen einer »Prellung beim Volleyball« nicht spielen zu müssen. Da unterhielten sie sich eine Stunde lang über Musik. Der Klavierspieler ließ ganz unschuldig einmal das Wort »Jazz« einfließen. Da merkte er, dass er in dem Sir keinen Partner hatte. Der meinte, er kenne nur zwei ernstzunehmende, gelungene Versuche, Jazz und symphonische Musik zu verbinden, das seien George Gershwins »Rhapsody in blue« und sein »Concerto in F.«. Von purem Jazz hätte er keine Ahnung.
    Ein paar Wochen darauf, kurz vor den Sommerferien, ging der Klavierschüler wieder einmal schweren Herzens zum Unterricht. Er war sich des Ausmaßes der Undankbarkeit gegenüber dem Professor schmerzlich bewusst. Er hätte den Mann am liebsten umarmt und um Verzeihung gebeten. Aber der war nicht da. Nur die mittlerweile vierzehnjährige Tochter, die Fee, der Engel. Die sagte, der Vater wäre in der Stadt beim Arzt und käme daher etwas später. Dann verschwand sie. Der Klavierschüler ging in das Unterrichtszimmer, setzte sich an den Flügel und begann »How high the moon« zu spielen. Und er dachte, jetzt müsste sie eigentlich hereinkommen. Sie kam aber nicht. Vor Wut und Enttäuschung hämmerte er einen Boogie. Da ging die Tür auf, und sie kam, stellte sich neben den Flügel und begann aus dem Stand zu tanzen. Der Klavierspieler spielte um sein Leben und mit der linken Hand nicht ganz sauber. Da hörte er von ferne einen leicht ironischen Satz:
    »Ah, das wohltemperierte Klavier.«
    Der Professor war heimgekommen. Die Fee entschwand in ihr Zimmer. Der Klavierschüler saß mit rotem Kopf da und log: »Ich hab das einmal probieren wollen.«
    Der Professor sagte nichts, aber sein kluges Gesicht verriet: Ich glaube dir kein Wort.
    Die letzten beiden Stunden vor dem Sommer schwänzte der Klavierschüler kommentarlos. Nach den Ferien ging er nicht mehr zum Unterricht. Ein Jahr später brach er das Gymnasium ab. Er wurde Berufsmusiker im Pop- und Jazzrepertoire. Ein guter Musiker, eher konventionell, stilistisch zwischen Oscar Peterson und George Shearing, natürlich nicht annähernd so gut wie diese heroes. Der Kontakt mit seinen Eltern reduzierte sich mehr oder weniger auf Feiertage.
    Er lebte sein Leben.
    Er hatte nur ein Handicap. Zwei schwere psychologische Macken. Die erste war, er wollte jedes neu erarbeitete Stück der blonden Kindfee vorspielen, sah sie ununterbrochen neben dem Klavier stehen. Dabei hatte er ein ausgeglichenes Sexleben zwischen Studentinnen und Kellnerinnen, ganz besonders gerne mit kellnernden Studentinnen. Aber Klavier spielte er im Grunde immer wieder nur für die Eine.
    Die zweite und viel gefährlichere Macke: Immer wieder erschien ihm der Professor und sagte: Ah, das wohltemperierte Klavier. Sofort hatte er dann Angst vor einem Fehler. Wenn er in seiner Heimatstadt war, zum Glück eben sehr selten, fürchtete er panisch, seinem geliebten und sicher von ihm enttäuschten Professor zu
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