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Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Titel: Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Autoren: Langen Müller
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schloss sich der Direktor des Konservatoriums an, denn er kannte den Vater des Klavierschülers, den Speditionskaufmann, von einem Geselligkeitsverein namens »Schlaraffia«. Und er wollte seinem Schlaraffenbruder keinen Schmerz zufügen.
    So kam der zwölfjährige Klavierschüler zu einem männlichen Professor.
    Das war eine neue Welt. Das war ein Herr, ein »Sir«, wie der Jugendjargon solche Typen zu nennen pflegt. Er unterrichtete in einer kleinen Villa mit Vorgarten. Das Klavierzimmer hatte weiße Wände, große Fenster, einen von einem dunkelroten Perser teilweise bedeckten Parkettboden. An Mobiliar gab es nur einen Notenschrank, darauf ein Plattenspieler, zwei Klavierhocker und einen prächtigen schwarz glänzenden Konzertflügel.
    Der schlanke, leicht graumelierte Professor trug immer Anzug und Krawatte und schien weniger Klavier unterrichten als über Musik reden zu wollen. Das faszinierte den Klavierschüler. Der Professor nahm ihm alle Noten ab, die ihm seine ehemalige Lehrerin aufgezwungen hatte, verwarf sie mit spöttischen Bemerkungen, fand auch über die Musikstücke, die er dem Schüler vorlegte, keine guten Worte, begründete aber, warum es Sinn mache, sie zu erlernen, weil ihre Beherrschung weiterführe. Er sprach nicht über Fehler, sondern über Musik, er vermittelte dem Zwölfjährigen ein Gefühl von Kollegialität. Der Klavierschüler änderte sich. Er wollte zwar immer noch nicht das Klavierspiel erlernen, aber er wollte diesen Professor zumindest nicht enttäuschen. Er übte. Nicht viel, nicht genug, aber eben doch so viel, dass der Professor kleine Fortschritte kommentieren konnte. Und der Klavierschüler verehrte den Professor. Denn der erschloss ihm den Begriff »Musik«.
    So vergingen zwei Jahre. Die Fortschritte waren nicht annähernd so wie bei Hochbegabten, aber sie waren merkbar. Doch jetzt brach über den Vierzehnjährigen etwas herein, was er nicht definieren konnte, was aber Auswirkungen auf seinen Musikgeschmack hatte. Er hörte Tag und Nacht Schlager-, Pop- und kommerzielle Jazzmusik. Das war die Musik, hinter der er Paarungen vermutete. Er ging zuhause an den elenden, kurzen Flügel und versuchte – ohne Noten – simple Melodien irgendwie in den Griff zu kriegen. Er begriff die Terzen von »La Paloma« und klimperte sie pausenlos. Allerdings nur, wenn kein Elternteil in der Nähe war, denn sonst hätte es geheißen »Spiel was Anständiges«.
    Der Klavierspieler begann wieder sehr schlecht vorbereitet in die Unterrichtsstunde zu kommen. Und er schämte sich. Zumal der Professor unendlich geduldig blieb. Es gab keine Vorwürfe. Es gab nur die Bereitschaft zu lehren, in dem Maße, in dem der Schüler das annahm. War der einmal gar nicht vorbereitet, brach der Professor ab, legte eine Schallplatte auf, eine Symphonie etwa, und erklärte dem Klavierschüler, warum er dieses Dirigat einem anderen vorzöge.
    Der Klavierschüler wurde zum Zerrissenen. Klimperte er zuhause seine Schlager, brach er voller Schuldgefühl ab und versuchte verzwickte technische Stellen aus einer Geläufigkeitsschule zu üben. Das nervte ihn nach kurzer Zeit und er begann abermals mit Schnulzen. So ging das hin und her.
    Er kam in schlechter nervlicher Verfassung zum Unterricht. Daran hatte auch ein weibliches Wesen Schuld, dem er im Hause des Professors immer wieder einmal zwischen Tür und Angel begegnete. Eine Tochter, zwei Jahre jünger als er und nicht von dieser Welt, was die Schönheit betraf. Ein Engel. Eine Fee. Sie dankte seinem Gruß immer nur scheu, hielt sich nicht auf, aber hinterließ sein ohnehin ramponiertes Nervensystem in Fetzen.
    Für die nächste Kontrollprüfung vor dem Kollegium stellte ihm der Professor mit größtem Raffinement ein Programm zusammen, mit dem er über seine technischen Mängel hinwegtäuschen und musikalischen Gestaltungswillen andeuten konnte. Er überstand die Prüfung mit Ach und Krach.
    Aber die entscheidende Wende zum Debakel des klassischen Klavierspiels kam.
    Das war auf der Party einer Mitschülerin aus dem Gymnasium. Die hatte schon einen Freund, einen Kunststudenten, der aber auch Hobbyjazzer war. Irgendwann ging der – eitel wie alle Hobbymusiker – zum auch hier vorrätigen Klavier und spielte Swing in einer für das Urteilsvermögen des Klavierspielers herausragender Qualität. Der Klavierschüler setzte sich daneben hin, spielte im Geist mit, und als der Hobbyjazzer Pause machte, fragte er, wie man diese vielen Titel auswendig speichern könnte, kurz,
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