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Partitur des Todes

Partitur des Todes

Titel: Partitur des Todes
Autoren: Jan Seghers
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leben wie all die französischen Kinder in meiner Umgebung. Das kann man falsch finden, aber so war es.»
    «Sprechen Sie noch gelegentlich deutsch?»
    «Früher, wenn deutsche Touristen in unsere Revue kamen, habe ich mit ihnen deutsch gesprochen. Jetzt gibt es nur noch wenige Gelegenheiten.Aber ich lese noch immer gerne in Grimms Märchen. Manchmal auch in den Eichendorff-Gedichten. Und…»
    «Und?»
    «Und ich höre Schuberts Lieder.»
    «Waren Sie jemals wieder in Deutschland?»
    Georges reagierte ungewöhnlich heftig: «Nein, nie. Niemals würde ich dieses Land wieder betreten.»
    «Aber Ihnen ist schon klar, dass sich in Deutschland vieles geändert hat.»
    «Ja. Natürlich. Ich bin nicht dumm. Trotzdem.»
    «Und über all das haben Sie in dieser langen Zeit mit niemandem geredet?»
    «Nein, nie, außer… außer mit meiner Frau.»
    Mademoiselle Blanche stutzte. Sie starrte auf den Bildschirm. Für einen Moment wusste sie nicht, wen Georges damit meinte. Erst dann begriff sie, dass sie selbst es war, die er geradezum ersten Mal als seine Frau bezeichnet hatte.
    Auch Valerie reagierte verwundert: «Davon haben Sie mir gar nichts erzählt. Ich wusste nicht, dass Sie verheiratet sind.»
    «Wir sind nicht verheiratet. Wirleben in verschiedenen Wohnungen. Trotzdem ist sie meine Frau. Und meine Geliebte.»
    «Das haben Sie schön gesagt. Trotzdem: Warum haben Sie sich entschlossen, nun doch über Ihre Herkunft zu sprechen?»
    «Ich glaube, es liegt an Ihnen.»
    «An mir?»
    «Nein,nicht an Ihnen persönlich, aber am Fernsehen. Es ist, als würde man zu allen und zu keinem sprechen.»
    «Und warum nach all den Jahren gerade jetzt?»
    Er dachte nach. Dann antwortete er mit großer Bestimmtheit: «Weil man ja doch nicht vergessen kann.»
    «Was meinen Sie damit?»
    «Ich meine, dass man es versuchen kann, aber es geht nicht. Man kann nicht vergessen. Das ist es, was ich sagen wollte.» Das rote Licht der Kamera war kaum erloschen, als die Tür des Studios geöffnet wurde. Der Redaktionsleiter stürmte herein, kamauf Monsieur Hofmann zu und reichte ihm beide Hände: «Das war großartig, mein Herr.Ich bewundere Ihren Mut. Sehr authentisch, sehrehrlich. Meinen Glückwunsch!»
    Dann legte er seine Rechte auf Valeries Schulter: «Ein Glanzstück, meine Liebe, brillante Gesprächsführung. Das ist die Sorte Journalismus, die wir brauchen.»
    Monsieur Hofmann begriff nichts von dem, was der Mann sagte. Er war erschöpft. Zugleich war er aufgedreht. Er wünschte sich, neben Mademoiselle Blanche im Sessel zu sitzen, ihre Hand zu halten und zu schweigen. Gerne hätte er jetzt mit ihr zusammen eine Flasche Rotwein getrunken. Er nahm seinen Strohhut, setzte ihn auf und bat darum, dass man ihm ein Taxi rufe.
    «Ich begleite Sie zumAusgang», sagte Valerie.
    Während sie nebeneinander hergingen, redete sie unentwegt auf ihn ein.
    «Was ist mit Ihnen?», fragte Monsieur Hofmann.
    «Was soll mit mir sein?»
    «Sie sind heute anders. So… verrückt.»
    Sie blieb stehen und schaute ihn an: «Merkt man mir das wirklich an?»
    «Entschuldigen Sie, vergessen Sie, was ich gesagt habe, ich wollte nicht indiskret sein.»
    «Nein, ist schon in Ordnung. Ich bin wirklich ein wenig verrückt», sagte sie. Und nach einer kurzen Pause: «Ich habe mich getrennt.»
    «Von Ihrem Mann?»
    Sie lachte: «Nein, nur von MonsieurArsch. Es ist alles in Ordnung. Eigentlich geht es mir sogar richtig gut.»
    Der alte Mann hob die Brauen. Er wusste nicht, was er noch hätte sagen sollen.
    Sie standen bereits am Rand der Straße, um auf das Taxi zu warten, als sie jemanden rufen hörten.
    «Monsieur Hofmann… Sind Sie Monsieur Hofmann?»
    Der Pförtner war aus seiner Loge gekommen und winkte ihm zu: «Hier ist jemand am Telefon für Sie. Man sagt, es sei dringend.»
    Monsieur Hofmann folgte dem Mann, der ihm den Hörerreichte. Dann meldete er sich mit seinem vollen Namen.
    «Ja», sagte er, «der bin ich… Ja, das ist richtig.» Dann hörte er schweigend zu.
    Nach einer Weile nahm er den Hörer vom Ohr und bat den Pförtner um etwas zum Schreiben.Als er den Stift entgegennahm, zitterte seine Hand. Er kritzelte etwas aufs Papier, dann legte er den Hörer auf die Gabel.
    «Jetzt muss ich Ihnen dieselbe Frage stellen, die Sie mir gestellt haben», sagte Valerie. «Was ist mit Ihnen los? Sie sind miteinem Mal ganz blass geworden.»
    «Es war eine Frau.»
    «Und? Was wollte sie? Kannten Sie die Frau?»
    «Nein. Sie sagt, sie habe einen Brief für mich. Nein,
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