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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert
Autoren: Jules Verne
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Jahrhundert; durch den aufgestauten Fluß hatte die Stadt Paris auch bei niedrigstem Wasserstand eine Kraft von viertausend Pferden zu ihrer Verfügung, die nichts kostete und immer arbeitete.
    Die Turbinen hoben zehntausend Zoll Wasser in fünfzig Meter Höhe; und ein Zoll Wasser bedeutet zwanzig Kubikmeter je vierundzwanzig Stunden. Deshalb bezahlten die Einwohner für das Wasser hundertsiebzigmal weniger als früher; für drei Centime bekamen sie tausend Liter, und jeder konnte pro Tag über fünfzig Liter Wasser verfügen.
    Außerdem stand in den Leitungen immer Wasser bereit, die Straßen wurden mit Spritzrohren besprengt, und jedes Haus war im Brandfall ausreichend mit Wasser versorgt, das unter einem sehr hohen Druck stand.
    Während Michel auf den Staudamm kletterte, hörte er das dumpfe Dröhnen der Turbinen von Fourneyron und Koechlin, die auch unter der Eiskruste immer noch weiterarbeiteten. Aber hier machte er unentschlossen kehrt, denn offensichtlich kam ihm ein Gedanke, der ihm selbst noch nicht ganz klar war; er stand vor dem Institut de France.
    Da fiel ihm ein, daß die französische Akademie nur mehr einen einzigen Literaten zählte; daß, nach dem Beispiel von Laprade, der Sainte-Beuve Mitte des 19. Jahrhunderts als Wanze tituliert hatte, sich später zwei andere Akademiemitglieder den Namen jenes genialen kleinen Mannes gaben, von dem Sterne im
Tristram Shandy
spricht, Bd 1, Kap. 21, S. 156, Ausgabe 1818 von Ledoux und Teuré; da die Literaten ganz entschieden ungezogen wurden, nahm man schließlich nur mehr hohe Herren.
    Der Anblick dieser abscheulichen Kuppel mit ihren gelblichen Streifen tat dem armen Michel weh, und er ging die Seine wieder hinauf; über seinem Kopf liefen elektrische Drähte kreuz und quer durch den Himmel, die von einem Ufer zum anderen reichten und eine Art riesiges Spinnennetz bis hinüber zur Polizeipräfektur spannten.
    Er rannte davon, allein auf dem eisigen Fluß; und der Mond warf seinen Schritten einen gewaltigen Schatten voraus, der seine Bewegungen in übergroßen Gebärden wiederholte.
    Er folgte dem Quai de l’Horloge, am Justizpalast vorbei; er überquerte den Pont au Change, unter dessen Bögen riesige Eiszapfen hingen; er ließ das Handelsgericht hinter sich, den Pont Notre-Dame, den Pont de la Réforme, der sich unter seiner langen Spannweite zu beugen begann, und kehrte dann auf den Quai zurück.
    Er fand sich am Eingang des Leichenschauhauses wieder, das den Lebenden wie den Verstorbenen Tag und Nacht offenstand; automatisch ging er hinein, als würde er hier nach Menschen suchen, die ihm teuer waren; er betrachtete die steifen, grünlichen, aufgeblähten Toten, die auf den Marmortischen lagen; in einer Ecke sah er den elektrischen Apparat, der dazu bestimmt war, Ertrunkene, denen noch ein kleiner Funke Leben geblieben war, in dieses zurückzurufen.
    »Schon wieder die Elektrizität«, rief er.
    Und er lief davon.
    Notre-Dame stand vor ihm; ihre Fenster waren strahlend hell erleuchtet; feierliche Gesänge drangen heraus. Michel betrat die alte Kathedrale. Die Andacht ging zu Ende. Michel, der aus dem Dunkel der Straße kam, war geblendet!
    Auf dem Altar glitzerten elektrische Lichter und aus der Monstranz, die von der Hand des Priesters hochgehoben wurde, schlüpften Strahlen von derselben Beschaffenheit!
    »Immer wieder die Elektrizität«, wiederholte der Unglückliche, »sogar hier!«
    Und er lief davon. Aber nicht schnell genug, um nicht auch noch die Orgel unter der von der
Katakombengesellschaft
gelieferten Preßluft aufheulen zu hören!
    Michel wurde verrückt; er wähnte den Dämon der Elektrizität auf seinen Fersen, schlug noch einmal den Quai de Grèves ein, stürzte sich in ein Labyrinth verlassener Straßen, stand plötzlich auf der Place Royale, wo die Statue Victor Hugos die von Ludwig XV. vertrieben hatte, entdeckte vor sich den neuen Boulevard Napoléon IV, der sich bis zu jenem Platz erstreckte, von dessen Mitte aus Ludwig XIV. im Galopp auf die Banque de France zustürmt, und mit einem Bogen setzte er dann über die Rue Notre-Dame des Victoires seinen Weg fort.
    An einer Fassade in jener Straße, welche die Place de la Bourse auf einer Seite begrenzt, erblickte er eine Marmortafel, auf der in goldenen Buchstaben folgende Worte zu lesen standen:
     
    HISTORISCHES DENKMAL.
    IM
    VIERTEN STOCK DIESES HAUSES
    LEBTE
    VON 1859 BIS 1862
    VICTORIEN SARDOU.
     
    Endlich stand Michel vor der Börse, der Kathedrale der Gegenwart, dem Tempel aller
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