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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert
Autoren: Jules Verne
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Massé, Gounod, Reyer las – in einem Winkel, der jenen vorbehalten war, die von der Musik gelebt hatten, die vielleicht an ihr gestorben waren! –, machte er sich wieder auf den Weg.
    Er ging an einem Namen vorüber, der sich ohne Datum, ohne eingemeißelte Trauerworte, ohne Wahrzeichen, ohne Prunk in den Stein gefressen hatte, an einem von der Zeit geachteten Namen, La Rochefoucauld.
    Dann betrat er ein Dorf aus Gräbern, die herausgeputzt waren wie holländische Häuser, mit ihren blanken Gitterzäunen davor und ihren vom Bimsstein glattgescheuerten Stufen. Das machte ihm Lust einzutreten.
    »Und vor allem hier drinnen zu bleiben«, dachte er, »und sich für immer hier auszuruhen.«
    Diese Gräber, die einem sämtliche architektonischen Stile in Erinnerung riefen, griechische, römische, etruskische, byzantinische, lombardische, gothische, Gräber der Renaissance und des 20. Jahrhunderts, schlossen sich in einem Geist der Gleichheit zusammen; die Einheit lag in diesen Toten, die alle wieder zu Staub geworden waren, ob unter Marmor, Granit oder einem Kreuz aus schwarzem Holz.
    Der junge Mann ging immer noch weiter; nach und nach stieg er den Trauerhügel hinauf und stützte sich, vor Müdigkeit wie zerschlagen, auf das Mausoleum von Béranger und Manuel; dieser Steinkegel ohne Schmuck und ohne Bildhauerarbeit stand immer noch aufrecht da wie die Pyramide von Gizeh, über den beiden im Tod vereinten Freunden.
    Nur zwanzig Schritte entfernt wachte General Foy über sie und schien sie, in seine marmorne Toga gehüllt, noch immer zu beschützen!
    Plötzlich kam dem Unglücklichen der Einfall, unter diesen Namen auf die Suche zu gehen; kein einziger jedoch sprach zu ihm über jene, die in ihrer Zeit geachtet worden waren; viele waren unleserlich, sogar einige der prunkvollsten, die sie umgebenden Embleme verschwunden, vereinte Hände auseinandergerissen, Wappen zerbröckelt auf diesen ihrerseits toten Gräbern!
    Dennoch ging er weiter, verlief sich, kehrte um, stützte sich auf die Eisengitter, sah verschwommen Pradier, dessen
Melancholie
aus Marmor zu Staub zerfiel, Desaugier, in seinem bronzenen Medaillon verstümmelt, und auch den Gedenkstein, den seine Schüler für Gaspard Monge errichtet hatten, und das verhüllte Klageweib von Etex, das sich noch immer an Raspails Grab klammerte.
    Als er noch weiter hinaufging, kam er an einem imposanten Denkmal vorbei, in reinem Stil, aus stolzem Marmor, umschlungen von leicht bekleideten Mädchen, die um seinen Fries herumliefen und -sprangen, und er las:
     
    FÜR CLAIRVILLE
    SEINE DANKBAREN MITBÜRGER.
     
    Er ging vorüber. Nicht weit entfernt war das unvollendete Grabmal von Alexandre Dumas zu sehen, der sein ganzes Leben hindurch für die Gräber der anderen Almosen gesammelt hatte!
    Hier befand er sich im Viertel der Reichen, die sich noch den Luxus prächtiger Apotheosen leisteten; hier mischten sich die Namen ehrbarer Frauen sorglos unter die Namen berühmter Kurtisanen, solcher, die es verstanden hatten, sich für ihre alten Tage ein Mausoleum zusammenzusparen; manche dieser Monumente hätte man leicht für übel beleumundete Häuser halten können. Ein Stück weiter stieß man auf die Gräber von Schauspielerinnen, welche die Dichter ihrer Zeit selbstgefällig mit tränenreichen Versen bestreut hatten.
    Schließlich schleppte sich Michel bis zum anderen Ende des Friedhofs, dorthin, wo ein herrlicher Dennery in einem theatralischen Grabmal den ewigen Schlaf schlief, ganz in der Nähe des einfachen schwarzen Holzkreuzes von Barrière, dorthin, wo sich die Dichter wie in der Ecke von Westminster ein Stelldichein gaben, dorthin, wo Balzac, wenn er aus seinem steinernen Leichentuch heraustrat, noch immer auf sein Standbild wartete, dorthin, wo Delavigne, Souvestre, Bérat, Plouvier, Banville, Gautier, Saint-Victor und noch hundert andere nicht mehr waren, nicht einmal mehr ihre Namen.
    Weiter unten sah der auf seiner Grabstele verunstaltete Alfred de Musset, wie an seiner Seite die Weide starb, um die er in seinen zärtlichsten und klagendsten Versen gebeten hatte.
    In diesem Augenblick kehrte das Denkvermögen des Unglücklichen zurück; der Veilchenstrauß fiel ihm aus der Brusttasche; er hob ihn auf und legte ihn unter Tränen auf das Grab des verlassenen Dichters.
    Dann stieg er noch weiter hinauf, immer weiter, zurückdenkend und leidend, bis er durch eine Lichtung zwischen Zypressen und Weiden hindurch Paris erblickte.
    Ganz hinten erhob sich der Mont Valérien,
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