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Paravion

Paravion

Titel: Paravion
Autoren: bouazza
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dem indigoblauen Nachthimmel: Entweder Baba Baluk und seine Frau weihten sie in den Inhalt des Briefes ein, oder sie würden sie aus dem Dorf steinigen. Diese Geheimniskrämerei! Unerhört! Die reinste Frechheit, ja, das war’s. Sie beschlossen, sich am nächsten Morgen vor dem Haus der beiden wieder zu treffen, und hielten sogleich Ausschau nach geeigneten Steinen; sie hätten den Plan zweifellos in die Tat umgesetzt, hätte der Dorfälteste nicht eingegriffen. Das tat er weniger aus Mitleid als aus Angst vor der Rache Cheiras und Heiras, die mit zugekniffenen Augen und zitternden Lidern die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes erstarren lassen konnten. Auch die Kinder kannten die Fiesheit ihrer Finger: Wie oft waren sie gezwickt worden, nachdem sie die beiden Frauen beschimpft oder mit Steinen beworfen hatten? Kein Mücken- und kein Wespenstich war so schmerzhaft wie die Stiche ihrer Nägel. War einer der Bengel so verwegen, sie von weitem zu verhöhnen, hatten sie ihn, egal, in welcher Entfernung er stand, sofort in den Klauen –
    »hierher, Sohn einer Mistpforte« – und zwickten drauflos.
    Niemand wagte es, Einspruch zu erheben, alle fürchteten sie die verschlossenen Münder und die drohenden Blicke; und wenn die Frauen den Jungen endlich freigaben, war ihm eine tüchtige Abreibung der Eltern sicher. Manchmal brachte eine Mutter die beiden mit flehentlichem Bitten dazu, von ihrem Opfer abzulassen, denn herzlos waren sie nicht. Dann sahen die verängstigten Augen des Jungen die schwarzen Nägel schon bedrohlich nah und er machte sich fertig für einen Schrei, der bereits aus der Tiefe seiner Eingeweide heraufbrodelte, doch da hielten die Frauen inne: Die Mutter fiel auf die Knie, rollte sich im Staub, küßte die Rocksäume der beiden. Diese ließen das Balg los, die Mutter packte es am Oberarm und zerrte es nach Hause, wo es dann verdroschen wurde, und zwar erbarmungsloser, als es die Strafe der beiden Scharteken hätte sein können.
    Oft genug kam es vor, daß eine der Mütter am nächsten Tag den Hügel zu den Zwillingen hinaufstieg, um Wolfsdistelsalbe für die blauen Flecke des Sohns zu holen.
    Waren die Kinder ungezogen, und das war bei den Jungen der Dauerzustand, brauchten die Mütter nur mit den beiden Hexen zu drohen, schon plärrten die Kinder los, als wären die gefürchteten Frauen schon unterwegs. Ein probates Mittel, und nach einer Weile ließen die Jungen Cheira und Heira ganz in Ruhe. Manchmal bedauerten die beiden das.
    »Laßt gut sein«, sagte der Dorfälteste jetzt, »unsere Zeit kommt noch.« Enttäuscht trollten sich die Leute, nicht ohne wütende Blicke, die eine baldige Rückkehr androhten, Richtung Tür zu werfen. Wartet nur!
    Baba Baluk und Mamurra waren unterdessen selig unwissend über das, was sich um sie herum zusammenbraute. Vor lauter Freude über den Brief lebten sie wie im Frühling. Sie naschten die väterlichen Worte wie Äpfel von den Lippen des anderen.
    Sie küßten und umarmten sich. Baba Baluk nahm sich sogar Zeit für das Vorspiel – nicht viel zwar, aber immerhin. Mit dem Brief schien der milde Geist Paravions über ihn gekommen zu sein. Seine Finger fuhren fröhlich Schlittschuh auf Mamurras Haut. Ihr Speichel war ihm eine Erfrischung.
    Der Himmel spiegelte sich in ihren Lidern und füllte ihren Mund, wenn sie die Augen schloß, um in dieselbe Finsternis einzutauchen, in der der ungeduldige Baba Baluk bereits verschwunden waren. Doch Frühling hin oder her, in ihrem Schoß wollte keine Frucht gedeihen.
    Die Bergkarawane am Horizont brach nicht auf und kaum auch nirgendwo an. Nach einigen Sommern hörte man in den steinigen Höhen erstmals das Echo eines Eulenrufes, von da an kehrte es jede Nacht wieder. Die trockenen Jahreszeiten zogen so langsam vorüber wie die Bergkette. Das Eulengeheul kam immer näher, und kurze Zeit später landete das Tier auf dem Fensterbrett ihres Schlafzimmers. Eine weiße schädelförmige Eule mit kaum sichtbarem Lockenschwarz auf der Brust wie eine unordentliche Handschrift und mit großen schwarzen Augen; den Kopf drehend – u-hu – kundschaftete sie die vier Himmelsrichtungen aus und flog von Haus zu Haus. Und zwei Monate vor Baba Baluks Abreise war Mamurra schwanger, später als die anderen Frauen. Die Trauben reiften, durch ihre transparente Haut waren deutlich die Kerne zu erkennen, wie Föten. Mamurra weinte Glücksperlen. Die meisten Kräuter und Mittelchen hatten bei Baba Baluk nicht angeschlagen, aber Heiras und Cheiras
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