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Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Titel: Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Autoren: Anthea Bischof
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Seit dem Ende der Diktatur, seitdem Paraguay der Sphäre der Ordnung immer mehr entglitt, war die polizeiliche Gewalt zur Sicherung vor Raub und Mord unabdingbar, denn das Tragen von Waffen war in ganz Paraguay erlaubt. Selbstschutz und staatliche Sicherheit griffen jeweils da, wo die andere Partei nicht hinsah. Dass die Ordnungshüter aber wie viele Regierungsangestellte nur unregelmässig bezahlt werden konnten, warf ein anders Problem auf. Im Machtvakuum gesellten sich die verschiedensten Interessen zusammen, um nach Möglichkeit im Abschöpfen Paraguays auf ihre Kosten zu kommen.
    In den elenden Quartieren der Indios, in denen es nichts Wertvolles zu entwenden gab, sah sich die Polizei zu keiner Präsenz verpflichtet. Hier herrschten andere Bedingung en, hier geboten andere Herren und Banden regulierten das Leben.
    Es bot sich Vincent ein buntes Bild, Plastikplanen, ausrangierte Werbefahnen, Holz und Wellblech wechselten sich ab. Wie Spinnweben zogen sich die Elektrizitätskabel an den verfärbten Wänden entlang , anmutig durchwachsen von dichten Schlingpflanzen. Die gleissende Sonne liess die Farben übersättigt erstrahlen und die verdampfende Nässe reicherte die Gerüche zum Kaleidoskop der Aromen an. Viel Volk waren unterwegs, stand an den Eingängen oder im spärlichen Schatten der Schuppen. Eine Menge von Kindern aller Grössen und Altersstufen bevölkerten den Slum. Zwischen den niedrigen Hütten herrschte steter Lärm und die Rufe und Schreie drangen durcheinander. Kaum einer der Menschen, die Vincent kreuzte, sah ihm in die Augen, wie auf einer Ameisenstrasse gingen alle an ihm vorbei, ohne mit ihm zusammen zu stossen. Vincent war isoliert, während um ihn her das Leben schwappte, faulte, stiess und brodelte wie im Hexenkessel. Die Gerüche von Unrat, Küche und blutwarmen Körpern bildeten einen reichen Dunst, eine Art gemütliche Atmosphäre. Es war ein heimeliges Gefühl, eine bestrickende Dichte von Schicksalen und Abenteuern, so dicht verwoben und überreich, dass es gleichzeitig verlockend anzog und ekelerregend abstiess.
    Unvermittelt bog Vincent in einen anderen Weg ein, in dem sich zwei gellende Stimmen vom Strassenlärm abhoben und er folgte dem Laut. Vor einem der Häuser unterhielten sich zwei Frauen bei Tereré, dem kühlen Mathe-Tee.
    „Hola“, rief er und nahm hinzutretend die Sonnenbrille ab.
    Beide wandten sich verstummend nach ihm um. Die eine mochte um die Vierzig sein, die andere kaum dreissig, sie trugen beide pastellfarbene Leibchen und kurze Hosen, so dass ihre Wäsche durchschien und an den Ohren der jüngeren schaukelten grosse gelbe Ringe. Vincent fuhr sich durchs dunkelblonde Haar, gleichsam die Stigmatisierung seiner Fremdheit niederstreichend. Er war nicht von hier.
    „Mein Name ist Vincent Thal, ich arbeite für den Internationalen Roten Ring“, stellte er sich vor. „Ich habe gehört, dass hier vor einigen Tagen ein Strassenkampf stattgefunden hat und Menschen zu Schaden kamen.“
    Die beiden Frauen tauschten einen Blick und sahen ihn dann weiter schweigend an.
    „Geht es Ihnen gut? Oder sind Sie selbst geschädigt worden und brauchen Sie etwas? Sind Sie und Ihre Familien gesund?“ fragte Vincent weiter.
    „Gehen Sie doch dort drüben fragen“, sagte die jüngere der Frauen schnell, begleitet vom Cresc endo ihrer Ohrringe. Sie deutete weiter in die Gasse, wo sie auf die weiter hinten liegende Parallelstrasse führte, die aufgrund ihrer Nähe zum Stadtzentrum befestigt war.
    „Wer ist denn dort?“ fragte Vincent. Die Frauen fügten ihrem stummen Blick nichts hinzu. Er ahnte, das Unterfangen würde nicht leicht, denn die Menschen in den Quartieren waren misstrauisch, sprach er doch kein Guarani, die Sprache der hispanischen und indigenen Bevölkerung.
    „Danke, schönen Tag noch“, meinte er schliesslich, denn die Unterhaltung war offensichtlich zu Ende. Er schlenderte gemächlich weiter , während er seine Sonnenbrille wieder aufsetzte. Einer seiner Kollegen war in Bolivien drüben einmal niedergeschlagen und ausgeraubt worden. Es hatte einen Skandal zwischen dem Hilfswerk und den Behörden gegeben, bis sich herausstellte, dass es sich nicht um einen Raubüberfall, sondern um ein Eifersuchtsdrama gehandelt hatte, das zudem auf einer Verwechslung beruhte. Mitarbeitenden des Hilfswerks wurde von sämtlichen intimen Kontakten zur lokalen Bevölkerung schwer abgeraten. Es galt als unprofessionell und hinderte die gut strukturierte Arbeit, wenn man sich auf zu enge
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