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Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Titel: Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Autoren: Anthea Bischof
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Vincent gegangen war.
    „Du bist ganz schön unhöflich, was denkst du, was er jetzt denkt, was wir hier für Umgangsformen haben. Willst du, dass er glaubt wir sind Barbaren?“ erwiderte Adelaida.
    „ Glaubst du denn, wir seien Barbaren?“ fragte Luz.
    „Nein, auch wenn du dich so benimmst.“
    „Es hat niemand das Recht irgendwas über mich oder uns zu denken, ich kann machen was ich will!“ sagte Luz darauf. „Wenn du dich verhalten willst wie eine Idiotin, die alles glaubt was diese angeblichen Hilfswerke sagen, dann mach das, nur zu. Aber ich werde mich immer dagegen wehren. Ich muss doch nichts glauben, was mir ein hergelaufenes Rindvieh sagt!“
    „Ich glaube, wenn die hierher kommen, weil es ihnen in ihrer Heimat gut genug geht, sollen wir sie nicht ablehnen. Wenn sie sich über andere Leute Gedanken machen können und ob es denen gut geht, dann kann das, was sie sagen, nicht so schlecht sein. Schliesslich haben sie genug Geld, um es bei uns auszugeben“, erwiderte Adelaida.
    „Du bist einfach zu naiv, du glaubst alles, was man dir sagt, was? Dann musst du dich auch nicht wundern, wenn du immer ausgenutzt wirst“, stiess Luz vehement hervor.
    „Und du bist so unhöflich, dass du dich nicht zu wundern brauchst, wenn die Leute deine Gesellschaft nicht aushalten“, sagte ihre Kollegin darauf. „So, ich habe heute genug gehört, ich gehe nach Hause, einen schönen Abend Luz, tu was Schönes, dann bist du morgen vielleicht ein bisschen freundlicher.“
    Luz murmelte etwas wie bis morgen, als Adelaida das Büro verliess und dann blickte sie wie zurückgelassen aus dem Fenster, vor dem sich die sinkende Sonne im aufsteigenden Staub der Strasse brach und warmes Gelb auf die Wände fallen liess.
     
     
    Als Vincent sich nach sieben Uhr verschlafen ins Badezimmer begab, sass an der Wand eine rote Spinne, gross wie sein Handteller, mit den langen Beinen gleichsam sanft auf dem Mörtel aufruhend.
    „Morgen“, sagte er und stieg in die Dusche.
    Die Spinne antwortete nicht, sondern begab sich ein paar Schritte weit aus der Gefahrenzone der Wasserspritzer.
    Nach wenigen Minuten im Nassen trocknete Vincent sich oberflächlich ab, ein paar Tropfen blieben auf seinem Rücken und den Armen. Er rasierte sich ohne besondere Sorgfalt und sein Haar liess er, wie es dem wuschelnden Handtuch entkommen war. In seiner Heimat war er eitler gewesen, er hatte Acht auf seine Rasur gehabt, keine vielfüssigen Tiere in seinem Bad geduldet und seine Frisur sorgsam geordnet. Doch nun, in seinem steten Kontakt mit einer Welt der Begrenzung, der Armut und des Kulturraubes waren ihm die Errungenschaften seines gepflegten Äusseren unsympathisch. Er mochte sich nicht mit zivilisatorischem Lack bedecken, wenn ihn die Notwendigkeiten des Lebens alltäglich mit aller Macht ansprangen. Was sollte er Eau de Toilette verwenden, das seinen maskulinen Charme unterstrich, wenn im Waisenhaus die Latrinen überliefen und ein dreizehnjähriges Mädchen um eine Abtreibung bat, ohne die Identität des Vaters verraten zu können?
    Vincents stete Auseinandersetzung mit der Realität Paraguays brachte ihn in den Status eines unterschwelligen schlechten Gewissens, das ihn anfiel wie ein tollwütiger Köter, wann immer er die aufgeräumte Vorderstube seines Bewusstseins in Müdigkeit oder einigen Schlucken Bieres verliess. Dann schwappten die unheilvollen Wellen seines Unbewussten über die Schwelle. So waren Vincents Träume durchzogen von den Eindrücken seiner Tage, er wachte stets auf mit dem Gefühl zu wenig geleistet zu haben, gegenüber dem dreizehnjährigen Kind, dessen leibliche Verfassung keine Schwangerschaft zu überdauern fähig zu sein schien und gegenüber den gährend-brechreizenden Gerüchen der seit Tagen überquellenden Senkgruben. Vor Jahren waren eigentlich Gelder gesprochen worden, das Waisenhaus an die Kanalisation anzuschliessen, aber niemand wusste nun, wohin die Mittel geflossen waren, als Vincent entdeckte, dass es überhaupt keine Verbindung zur Kanalisation gab, sondern die Gruben nur gelegentlich mit Chlor überschüttet wurden.
    Er rümpfte die Nase und begab sich zur Arbeit. Während er die Sonnenbrille aufsetzte, wies er de n nagenden Fragen ihren Platz im Hintergrund seines Denkens.
    Den teuer erworbenen Polizeibericht vor sich liegend, besprach Vincent mit dem Kollegen ihr Vorgehen hinsichtlich der Strassenschlacht. Die Polizei hatte das Vorkommnis als ein gewöhnliches abgetan, da die schlechteren Quartiere eben
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