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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse
Autoren: Pali Meller
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Kindern so einfach wie möglich nahezubringen versuchte. Mit Palis Diktum »Es gibt also keine Gedanken, ohne das
Wort
, ohne die
Sprache!!
« machte er sich den Ausgangpunkt des 1921/22 erschienenen
Tractatus Logico-Philosophicus
von Ludwig Wittgenstein zu Eigen, mit dem ihn das theoretische Interesse für Sprache und Architektur verband. Meller ging es jedoch weniger um die logisch-philosophischen Konsequenzen aus dieser Einsicht, als vielmehr um eine künstlerisch-praktische Einführung in diese Thematik für seinen »Dichtersohn«.Für einen modernen Architekten des Funktionalismus galt es, die »höchste Verbindung zwischen Inhalt und Form« zu erreichen, auch in der Dichtkunst.
    Mehr noch als die Liebe zu Sprache, Dichtung und Literatur versuchte Pali seinen Kindern in jedem Brief etwas von seiner Lebenserfahrung und -einstellung zu vermitteln, die für ihn auf dem Glück des tätigen und schöpferischen Menschen beruhte. Denn Palis Talent zum Glück, das ihn selbst in der Gefangenschaft nicht verließ, war das Talent zur Kreativität, die er auch bei seinen Kindern spürte. Mit ohnmächtiger Kraft und beschränkten Mitteln wollte er für sie ein Bild ihres Vaters in all seinen Facetten entwerfen, das ihnen als Erinnerung und Vorbild dienen sollte. Einen literarischen Höhepunkt in dieser Hinsicht bildet Palis Brief anlässlich seines 40. Geburtstags am 18. Juni 1942, in dem er sein bisheriges Leben wie einen Kurzfilm entlang einer Kette aus einzelnen Worten Revue passieren lässt. Diese poetische Kurzbiografie verdichtet sich noch einmal in einer Reihe von Selbstporträts, die er seinem Sohn Pila zum zwölften Geburtstag schenkte (s. S. 49). Aus den zehn Zeichnungen, die zwischen dem 8. Juni und dem 26. Juli datieren, blickt ein markantes Gesicht mit zurückgekämmten, dunklen Haaren, buschigen Brauen über den schweren Augenlidern und Oberlippenbart. Die undurchdringliche Mimik der scharf geschnitten Gesichtszüge mit hoher Stirn, schmalen Wangen und dunklen Augenschatten lassen das Bild eines Mannes hervortreten, der sich dem Blick des Betrachters ebenso schonungslos aussetzt wie dem eigenen Spiegelbild.
     
    Pali Meller verbrachte fast vier Monate in völliger Ungewissheit über den weiteren Prozessverlauf. Während der Untersuchungshaft galt es zunächst, seine »rassische Abstammung« zu überprüfen, wofür das Reichssippenamt zuständig war. Durch eine Anfrage beim Standesamt in Palis Geburtsstadt Sopron musste sich leicht feststellen lassen, dass sein »Ariernachweis« gefälscht war und er bis 1936 der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehört hatte. Mit dem Nachweis seiner jüdischen Abstammung wurde er jedoch nicht nur der Urkundenfälschung überführt, sondern auch der »Rassenschande« bezichtigt. Dieser Straftatbestand konnte nur durch die Zeugenaussage der beteiligten Frauen nachgewiesen werden, deren arische Abstammung ebenfalls überprüft werden musste. Zudem war die Strafverfolgung ausländischer Juden durch die 1. Ausführungsverordnung zum »Blutschutzgesetz« vom 14. November 1935 an die Zustimmung des Ministeriums des Innern und des Reichsjustizministeriums gebunden. Insofern musste bei einem gebürtigen Ungarn auch die Frage der Staatsangehörigkeit geklärt werden. Da er Angehöriger einer befreundeten Nation war, hätten die zuständigen Ministerien vermutlich keine Handhabe gegen Pali Meller gehabt. Vorausschauend hatte dieser bereits 1933 das Gesuch zur Erlangung einer Bescheinigung gestellt, »dass er im Laufe seines vierjährigen Aufenthaltes in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erlangt hat:
Ich bin als geborener Ungar durch Option im Jahre 1920 österreichischer Staatsbürger und bin zwecks Heimatrechtszuweisung von der österreichischen Landes-Regierung aufgefordert, eine Bestätigung darüber beizubringen, dass ich die deutsche
Staatsbürgerschaft seit meinem Aufenthalt in Deutschland weder nachgesucht noch erlangt habe.
« Und offenbar hatte er sich rechtzeitig vor dem Anschluss Österreichs wieder auf seine ungarische Staatsangehörigkeit besonnen, wie die entsprechende Angaben beim Aufnahmeantrag in die Reichskulturkammer von 1937 belegen (s. S. 94). Jedoch wurde er laut Anklageschrift als staatenlos eingestuft: »Die ungarische Staatsangehörigkeit hat der Angeschuldigte, weil er bereits länger als 10 Jahre ununterbrochen im Auslande gelebt hat und keine Erklärung über die Aufrechterhaltung seiner Staatsangehörigkeit abgegeben hat, nach Auskunft des
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