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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse
Autoren: Pali Meller
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an Franzi weiterzuleiten und ihn zu besuchen. Die äußeren Bedingungen seiner Gefangenschafthatten sich unterdessen sogar verbessert: Die Versorgungslage war weniger prekär als in Brandenburg, und immer wieder gelang es Pali, Gleichgesinnte und Gesprächspartner zu finden. Mit stoischer Haltung arrangierte er sich mit jeder neuen Situation, freute sich über den Arbeitseinsatz auf einer Baustelle im Freien und ertrug alles, nur nicht die Ungewissheit über das Schicksal von Franzi und den Kindern. Kurz vor Silvester erfuhr er wenigstens, dass sich die drei in Westdeutschland bei Franzis Familie aufhielten, wo sie in dem Haushalt der drei Schwestern vorübergehend eine Zeit der Wärme und Geborgenheit erlebten.
    Tatsächlich blieb Pali von der Deportation verschont, sei es aufgrund seines ungarischen Herkommens oder seiner familiären Situation. Noch immer konnte der Familienstand einer »privilegierten Mischehe« einen gewissen Schutz bieten: Der mutige Protest zahlreicher Ehepartner und Familienangehöriger aus »Mischehen« in der Rosenstraße sollte Ende Februar 1943 die Freilassung der dort verhafteten Juden bewirken. Doch für Pali hieß die Alternative nicht Freilassung oder Konzentrationslager. Er kehrte nach drei Monaten zwischen Hoffnung auf Freiheit und Angst vor der Deportation in das Zuchthaus Brandenburg-Görden zurück.
    Mit Poststempel vom 3. Februar 1943, am selben Tag, als das Oberkommando der Wehrmacht offiziell den Untergang der 6. Armee in Stalingrad eingestand, meldete sich Pali mit bitterer Ironie zurück aus dem »Heimathafen«. Die Postkarte war adressiert an Marlene Poelzig zu Händen von Paul und Barbara Meller. Damit war er zwar dem KZ entkommen, doch sein Überlebenswillewar durch eine Grippe geschwächt. Die dringende Aufforderung zu einer sofortigen Rückmeldung, die wacklige Handschrift und die wirren Fragen sprechen für sich.
    Siebzehn Tage vor seinem Tod schrieb Pali vom Krankenbett zum letzten Mal an seine geliebten Kinder. In der Fantasie seiner Fieberträume unternahm er eine Fahrradtour durch seine ungarische Heimat mit den drei Menschen, die ihm die nächsten waren, mit Pila, Barra und Franzi.
    Diese Karte hat er am 14. März direkt in die Siemensstraße in Falkensee geschickt. Von der neuen Adresse musste Franzi ihm erzählt haben, als sie gleich nach ihrer Rückkehr aus Westdeutschland eine Besuchserlaubnis bekommen und nach Brandenburg gefahren war, wo sie nach sechs Monaten ihren Arbeitgeber zum ersten und letzten Mal wiedersah. Aus dem leidenschaftlichen und feinsinnigen Künstler war ein abgemagerter, kranker und gebrochener alter Mann geworden.
     
    Pali Meller starb laut Sterbeeintrag am 31. März 1943 an Lungentuberkulose (s. S. 99). Tbc war eine der häufigsten Todesursachen, an der allein in Brandenburg-Görden 437 Häftlinge während der NS-Zeit gestorben sind. Zwar wurden die erkrankten Häftlinge in einer gesonderten Baracke untergebracht, jedoch erhielten nur wenige privilegierte »Volksgenossen« überhaupt eine medizinische Behandlung. Zudem herrschten in der berüchtigten Tbc-Baracke von Brandenburg-Görden besonders unmenschliche Zustände, weil ein zum Saalältesten ernannter Häftling dort unter Ausnutzungseiner Sonderstellung die kranken Mithäftlinge misshandelte, indem er ihnen Nahrung vorenthielt, sie schlug oder in einer Kiste in einen unbeheizten Nebenraum abschob. Neben brutaler Gewalt wurde den Verantwortlichen nach dem Ende der Nazi-Herrschaft auch der unsachgemäße Einsatz von Injektionen vorgeworfen, der den Hintergrund bilden könnte für die in Mellers Familie sowie in einer Notiz von Rainer Hildebrandt überlieferte Vermutung, dass Meller im Zuchthaus vergiftet oder mit Bakterien infiziert worden sei. Auch wenn sich dieses Gerücht nicht beweisen lässt, gehört Pali Meller zu den insgesamt rund 20   000 Justizgefangenen, die durch Mangelernährung, Vernachlässigung und Zwangsarbeit ums Leben gekommen sind, ohne die Tausende von Hinrichtungsopfern mitzuzählen.
     
    Nach Pali Mellers Tod trug Franziska Schmitt als Vormund die alleinige Verantwortung für die beiden minderjährigen Kinder. Während Mutter und Tochter Gilgenberg kurz vor Kriegsende nach Speyer flüchteten, konnten Franzi, Pila und Barra noch bis 1947 im Haus der Familie Gilgenberg in Falkensee bleiben. Franzi bekam Arbeit bei der Post und ermöglichte es damit auch, dass Barra den Ballettunterricht wieder aufnehmen konnte.
    Palis Eltern blieb die Nachricht vom Tod ihres
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