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Pandoras Tochter

Pandoras Tochter

Titel: Pandoras Tochter
Autoren: Iris Johansen
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wirst lediglich einschlafen, und ich verjage die Stimmen.«
    Sie öffnete die Augen und sah ihn benommen an. »Was …«
    »Schsch.« Er strich ihr behutsam das Haar aus der Stirn. »Du wolltest Hilfe. Ich gebe sie dir. Du wirst dich nicht an die Stimmen, den Schmerz und all dies erinnern.« Seine Lippen wurden schmal. »Ich wünschte, ich hätte so viel Glück.«

K APITEL 1
Zwölf Jahre später
St. Andrews Hospital Atlanta, Georgia
    E
    r ist tot, Megan. Lass es sein«, sagte Scott Rogan nach einem Blick auf den vierzehnjährigen Jungen. »Gib auf.«
    »Sag das seiner Mutter.« Megan versuchte noch einmal, sein Herz mit Hilfe des Defibrillators wieder zum Schlagen zu bringen. Komm schon, Manuel. Komm zu uns zurück. »Kampflos gebe ich nicht auf.«
    »Wir bemühen uns schon zwanzig Minuten um ihn.«
    »Dann machen ein paar mehr auch nichts aus.« Sie zählte bis drei und versetzte dem Jungen noch einen Stromschlag. »Lebe, Manuel«, flüsterte sie. »Du hast noch so viel vor dir, und es gibt so vieles zu sehen. Lass nicht zu, dass es so endet.«
    Aber es war vorbei, machte sie sich frustriert zwei Minuten später klar. Verdammt. Das arme Kind.
    Als sie sich abwandte, riss sie sich die Handschuhe von den Händen. »Halten Sie fest, dass der Tod um dreiundzwanzig Uhr fünf eingetreten ist«, sagte sie zu der Schwester, dann verließ sie die Notaufnahme, um sich zu waschen und den blutverschmierten Kittel gegen einen frischen zu tauschen, denn so konnte sie der Mutter nicht gegenübertreten. Die Ärmste würde ohnehin die schlimme Erinnerung für den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen.
    Verdammt. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf an den Türrahmen. So sollte es nicht sein. Sie müsste imstande sein, mehr zu tun.
    »Bist du okay, Megan?«
    Sie öffnete die Augen. Scott stand neben ihr. »Nein.« Sie straffte die Schultern. »Ich wollte ein Wunder und hab es nicht bekommen.«
    »Du hast dein Bestes gegeben. Wir sind nur Ärzte. Wir können nicht übers Wasser gehen.«
    »Ich kann es zumindest versuchen. Ich kann mich etwas mehr anstrengen, dann bin ich vielleicht eines Tages gut genug, um …« Sie rieb sich mit dem Handrücken die brennenden Augen und wandte sich ab. »Ich sollte nicht hier herumstehen und schwatzen. Ich muss mit Manuels Mutter sprechen.«
    »Warte.« Scott lief ihr nach. »Ich sage es ihr.«
    Sie lehnte sein Angebot ab. »Das ist mein Job. Er war mein Patient.« Aber, verdammt, sie wollte das nicht tun. Angehörige zu benachrichtigen war immer eine schmerzliche Pflicht, doch besonders schlimm war es, wenn ein so junger Mensch sterben musste. »Trotzdem danke, Scott.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Auch für mich ist es furchtbar. Aber es macht mich nicht so fertig wie dich. Manchmal frage ich mich, warum du dich entschieden hast, Ärztin zu werden. Du bist einfach zu emotional. Das ganze psychologische Training, das wir während des Studiums erhalten haben, scheint nicht zu dir durchgedrungen zu sein.«
    »Ich werde mich daran gewöhnen.« Ihr Blick richtete sich auf die kleine Latina-Frau, die auf einem Stuhl im Wartezimmer saß. Eine tiefe Traurigkeit erfasste Megan. O Gott, dieser erwartungsvolle Ausdruck, als die Frau Megan ansah …
    Nein, daran würde sie sich nie gewöhnen. Nicht in einer Million Jahren. Pack den Stier bei den Hörnern, und sag der Mutter, dass ihr Sohn gestorben ist.
    Die Frau war angespannt, ihr Blick wirkte verängstigt. Megan fühlte ihren Schmerz und die Verzweiflung, als wären es ihre eigenen. Sie hüllten sie ein, überspülten und ertränkten sie. Sie wappnete sich innerlich und kämpfte gegen den Drang an, sich zu drücken.
    »Megan«, raunte Scott.
    Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu klären. »Ist schon gut.« Sie befeuchtete ihre Lippen und zwang sich, das Wartezimmer zu durchqueren. Bring’s hinter dich, und spende der Frau so viel Trost, wie du kannst.
    »Mrs Rivera, ich bin Dr. Megan Blair.« Sie holte tief Luft. »Leider muss ich Ihnen sagen …«
     
    Ich kann nicht sagen, wer mehr leidet, dachte Scott Rogan, während er beobachtete, wie Megan die Frau in die Arme schloss. Megan hätte das ihm überlassen sollen.
    »Hör auf, dir Sorgen um sie zu machen. Du kannst deine kleine Freundin nicht für den Rest ihres Lebens beschützen.«
    Scott drehte sich um. Hal Trudeau stand hinter ihm. Er war im OP gewesen, aber inzwischen dürfte sich in der gesamten Station herumgesprochen haben, dass Megan fieberhaft versucht hatte, den Jungen
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