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Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Titel: Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
Autoren: Alexander Odin
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Gefühl sie nicht täuschte, würde die alte Frau auch in den nächsten Stunden nicht aufkreuzen. Gestern war es genauso gewesen, und da hatte sie noch geglaubt, dass irgendein »äußerer Umstand« für ihre »Verspätung« verantwortlich war. Vielleicht hatte sie eine Freundin besucht? Aber warum war sie dann mit ihrem Einkaufsroller unterwegs gewesen? Und hatte sie überhaupt eine Freundin? Naomi hatte bislang noch nie beobachtet, dass sie Besuch erhielt, von einer Ausnahme einmal abgesehen – da war ihr Sohn aus Süddeutschland angereist. Also musste der Grund für ihr Ausbleiben ein anderer sein. Aber welcher? Naomi entschied, sich darüber keine weiteren Gedanken mehr zu machen; sie würde es schon noch herausfinden.
    Das Mädchen ging in die Küche zum Kühlschrank und holte drei Möhren und einen Kräuterdip heraus. Vor einem halben Jahr hatte sie sich noch über Chipstüten und Gummibärchen hergemacht, um die Zeit totzuschlagen. Jetzt war sie auf gesunde Naschereien umgestiegen, nachdem ihre Mutter angemerkt hatte, dass sich um ihre Hüfte ein »kleiner Fettgürtel gebildet« hatte und Möhren und anderes Gemüse sowieso gesünder waren. Aber was sollte sie – außer die Nachbarn zu beobachten, im Internet zu surfen oder ab und zu eine dieser dämlichen Soaps in der Flimmerkiste zu gucken – den ganzen Tag auch machen, wenn nicht irgendwelche Snacks zu essen?
    Sie schaltete den Fernseher ein, in dem gerade ein Promi-Magazin lief, und schaute danach bis zum frühen Abend eine verlogene Real-Life-Doku nach der anderen. Um genau Viertel nach sechs fiel ihr Blick auf die Wanduhr, die so laut tickte, als liefe ein Countdown ab. Sie erhob sich vom Sofa, ging zu ihrem Schreibtisch und notierte unter Johanna Wedkind :
    Notiz: 18.15: Schon wieder nicht aufgetaucht. Was ist los? Mache mir Sorgen .
    Dann schlug sie das Buch wieder zu.
    Bei den anderen Nachbarn war die letzten Tage alles wie gewohnt abgelaufen. Heute gab es nichts mehr für sie zu tun; und so verbrachte sie den restlichen Abend weiterhin auf dem Sofa und nickte schließlich vor dem Fernseher ein. Sie schlief, bis sie gegen Mitternacht von ihrer Mutter, die von der Arbeit nach Hause kam, geweckt wurde. Als Naomi kurz darauf ins Bett ging, drückte sie vor dem Einschlafen ihr Ohr noch einmal an die Wand, um zu lauschen, ob irgendein Geräusch aus der Nachbarwohnung zu hören war. Doch es war totenstill.
    Frau Wedkind war anscheinend immer noch nicht zurückgekehrt.

4
    BERLIN-MITTE, PLATTENBAUSIEDLUNG,
21. NOVEMBER
    Seit zwei Wochen hockte Dr. Dolittle nun schon im Dunklen unter einem Tuch in dem großen Käfig – ohne Wasser, ohne Futter.
    Drei Tage nachdem er und die anderen exotischen Vögel nicht mehr gefüttert worden waren, hatten sie erste Panikreaktionen gezeigt. Wild flatternd waren sie umhergeflogen, um ihre Besitzerin auf sich aufmerksam zu machen. Fütter uns! Fütter uns!
    Schließlich waren sie übereinander hergefallen, hatten mit ihren Schnäbeln gegenseitig auf sich eingehackt, bis ihr schönes Gefieder übersät war von dunklem, getrocknetem Blut. Nach einer Woche waren die ersten vor Hunger und Durst von der Stange auf den mit Kot und Federn übersäten Boden gefallen und hatten noch ein letztes Mal gezuckt, bevor sie verendet waren.
    Dr. Dolittle war der letzte Überlebende. Er hatte begonnen, seine toten Freunde anzupicken und aufzuessen. Der süße Dolittle, der von seiner Besitzerin nach der Hauptfigur ihres Lieblingskinderbuches benannt worden war, hatte sich zu einem Kannibalen entwickelt. Doch er würgte die Stücke seiner Artgenossen wieder aus: Weil er ein Körnerfresser war, konnte sein Magen das Fleisch nicht verdauen. Die Wunden an seiner Brust, die ihm bei den Kämpfen zugefügt worden waren, nässten und juckten, und so riss er sich die letzten Federn aus. Die Haut um den Kropf war angeschwollen, gerötet und schmerzte. Die Entzündung wurde immer schlimmer, weil sein Immunsystem langsam versagte, und gelblicher Schleim lief aus seinem Schnabel. Da er ständig den Kopf hin und her warf, flog der Auswurf gegen die Gitterstäbe und blieb dort kleben. Der einst wunderschöne Vogel war zu einem kranken, psychotischen Monster mutiert.
    Nicht in den kühnsten Träumen seines Vogel-Kleinhirns hätte er damit gerechnet, dass in dieser Nacht das Tuch über dem Käfig auf einmal weggerissen, die Tür aufgeklappt und sich ihm ein Weg in die Freiheit eröffnen würde. Pfeilschnell nutzte er diese Gelegenheit.
    Als er aus dem
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