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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Leintuch, auf dem er lag. An seinen letzten Tagen hatten die Schwestern Simon ans Bettgestell gefesselt, weil er so sehr zitterte und sonst aus dem Bett gefallen wäre. Immer, wenn er Simon besuchte, löste er die Bänder an seinen Händen und Füßen und hielt ihn in den Armen. Simon war leicht wie eine Feder. Er konnte nicht mehr sprechen, aber er, Theo, spürte, wie Simons Körper ruhiger wurde, wenn er ihn hielt. Er saß und hielt ihn. Dann schwebte die Feder gen Himmel und mit ihm Theos Herz.
    Theo taumelte aus dem Krankenhaus. Er blickte durch eine schmutzige Scheibe, an der seine Tränen hinabflossen. Die ganze Stadt verschlammte vor seinen Augen. Die Farben des Sommers hatten sich in graue Schatten verwandelt. Die Blätter der Bäume hingen wie schlafende Fledermäuse an den Zweigen und die Blumen im Zierkasten stachen verkohlt und mit geknickten Köpfen aus der Erde. Er wankte über den Jahrmarkt zum Wohnwagen. Alles erschien ihm verzerrt und schrill, das Lachen und Juchzen der Menschen, die Schüsse in den Schießbuden und die Stimmen der Ausrufer, die ihm schmerzend in die Ohren stießen.
    Er schloss sich im Wohnwagen ein, legte sich aufs Bett, das Gesicht ins Kissen vergraben. Doch er hielt es nicht aus, dort zu liegen. Sein Herz schmerzte, als würde jemand es mit der Axt zerteilen. Er sprang auf, lief in die Bude und legte alle traurigen Films ein. Einen nach dem anderen. Und seine Tränen rannen die Wangen hinunter wie die Regenstreifen auf der Leinwand.
    Die Bilder flackerten, Theos Tränen flossen.
    Â»Mach dein Glück, Theo, versprich es mir. Mach dein Glück, Theo«, schallte Simons Stimme plötzlich in Theos Ohren. »Niemand hätte je geglaubt, dass so etwas möglich ist. Lebende Bilder, Theo. Und in jedem Bild steckt ein Traum. Vergiss nie: Das Glück auf der Leinwand ist sicher. Es wird nicht auf die Probe gestellt und darum kann es nie zerbrechen.«

Neue Welt
    Carla lief die Hoteltreppe hinunter. Sie eilte zur Geschäftsstraße, wo sich ein Laden an den anderen reihte. Sie kaufte Wäsche und eine Bluse zum Wechseln, erschrak über die Preise. Sie musste so schnell wie möglich eine Arbeit finden, irgendetwas. Aber wie? Sie ließ sich vom Strom der Menschen durch die Straßen treiben wie ein Stück Papier im Wind, das den Kantstein entlangflattert. Sie trieb inmitten der Passanten, vorbei an den Straßenfegern, den Straßenverkäufern, Gemüsekarren, an der Frau mit der Wassertonne auf Rädern. Die Häuserfronten glitten an ihr vorüber, ihre Augen streiften nur flüchtig die Aufschriften der Emailleschilder und die Auslagen in den Schaufenstern. ›Flammers Seifenpulver‹, ›Welthölzer‹, ›Osram‹, ›Hier Kartoffeln, Maggi–Würze, Wurstspezialitäten, Rauchwaren‹ …
    Sie schritt an einem Baugerüst entlang, hörte die Rufe, das Klopfen und Sägen der Arbeiter. In einem Schaufenster standen vier nackte Schaufensterpuppen in verschiedenen Posen. Sie beäugten Carla mit ihrem leeren, leblosen Blick. Plötzlich bewegten sich die Lippen der Puppen. »Du bist eine von uns«, riefen sie im Chor, »eine von uns!«
    Carla perlte Schweiß auf der Stirn. Weg, weg von hier. Sie suchte Zuflucht in einer Seitenstraße. Ein grelles Rasseln ertönte. Neben ihr wurde das Eisengitter einer Bankfiliale heruntergelassen. Ein reißender Schmerz durchfuhr sie von Kopf bis Fuß. Sie lief einem kleinen Park entgegen. Umgeben von alten Buchen, verlangsamten sich ihre Schritte. Die ausladenden Baumkronen bildeten ein schützendes Dach über ihr und dämpften das stetige Rauschen und Wummern der Stadt, das an ihren Nerven zerrte.
    Erschöpft sank sie auf eine Bank nieder. Kaum hatte sie sich gesetzt, umflog sie die Vergangenheit wie die lästigen Tauben, die gurrend auf sie zustrebten und nach Nahrung gierten. Einige der Vögel trugen verklebte Federkleider. Eine Taube watschelte auf sie zu mit herabhängendem, gebrochenem Flügel. Das Gurren der Tauben wurde immer lauter und fordernder. Carla sprang auf, verscheuchte die Vögel, die empört aufflogen. Sand knirschte unter ihren Füßen. Sie floh vor den Tauben und vor sich selbst der belebten Straße entgegen, um im Trubel der Menschen zu vergessen.

Schwarzer Traum
    Mach dein Glück, hallte es in Theo nach. Nach Simons Tod war er mit dem Kinematographen durch Deutschland
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