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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Schatten sprangen über die Leinwand.

Lichtspiele
    Es dämmerte bereits. Müde vom vielen Umherlaufen, betrat Carla ein Kaffeehaus. Hungrig und durstig bestellte sie Kaffee und eine Kirschschnitte, beängstigt über den Luxus, den sie sich leistete. Ein Pianist spielte Chopin. Carla hörte Akkordfehler. Am Nebentisch plauderte ein Händchen haltendes Liebespaar, ihr gegenüber schmauchte ein älterer Herr mit Nickelbrille seine Pfeife. Hinter dem aufsteigenden Qualm musterte er sie mit kritischen Augen. Carla ertrug seinen Blick nicht länger. Um ihr Gesicht zu verdecken, nahm sie eine Zeitung zur Hand, blätterte eine beliebige Seite auf.
    â€ºPatent-Urfedercorsetten, Stahlgrauer Prima Drell, Glatte volle Brustform, für Damen mit kurzer Taille, 54–90 Ctm, mit echten Fischbeineinlagen, 38 Ctm hoch, naturellfarben, feinster Prima Drell. Hohe Taille, 48–72 Ctm, Schwarz Halbserge, fein, leicht und solide …‹ ›Eiserne Klappbettstellen‹, ›Delikatess-Bratwürste‹, ›Gegen Magenleiden und Verstopfung‹, ›Lebensversicherungsgesellschaft‹, ›PALAST DER SCHATTEN, Kinematograph Blum, täglich 3–4, 4–5, 6–8 und 9 Uhr. Brillante Vorstellungen‹.
    Ihre Augen verharrten auf den letzten Zeilen. Es erfasste sie ein fast quälendes Verlangen, die Vorstellung zu besuchen. Sie trank den Kaffee, ohne ihn zu genießen, schlang den Kuchen hinunter, zahlte, erkundigte sich nach dem Weg, eilte aus der Tür, überquerte die Straße. Hinter ihr bremste eine Trambahn mit lautem Quietschen. Laute Stimmen schimpften, dröhnten unverstanden in ihren Ohren. Carla lief weiter. In der Ferne blitzten Lichter auf. Entrückt und magisch angezogen von der in Lichterglanz gehüllten Fassade, eilte sie dem Kinematographentheater entgegen.
    Sie betrat den schmalen, mit buntgrellen Filmplakaten und Süßigkeitenautomaten bestückten Flur und stellte sich in die Warteschlange. Langsam näherte sie sich der Kassenbox. Sie überflog einen Aushang, der an die Holzwand geheftet war. Ein kurzes Innehalten. Sie kaufte ihre Karte, schob sich weiter, vorbei am Tresen mit den Naschereien und Getränken. Im Zuschauerraum roch es nach einem Gemisch von Schweiß, Alkohol und Lysol, das Carla in der Nase brannte.

    Theo klackte mit dem Zeigefinger an den Hutrand und setzte den Zylinder auf. Als er den Kopf hob, betrat eine außergewöhnlich schöne Frau den Kinosaal. Er vermochte den Blick nicht von ihr abzuwenden. Sie war klein, rundlich, die Bewegungen unruhig. Ihre Augen glänzten fiebrig. Das Haar unter dem Hut hochgesteckt, mit kleinen Strähnen, die ungebändigt um ihr Gesicht spielten. Er hatte viele schöne Frauen bewundert und geliebt, sie aber strahlte nicht nur Schönheit, sondern Tiefe aus; etwas Verborgenes schlummerte in ihr, das zu erahnen war wie ein begehrenswerter Körper unter einem Kleid.

    Carla blickte sich um. An der Decke war ein schwarzes, mit Sternen bemaltes Segeltuch gespannt, die Wände mit violetten Lämpchen geschmückt. Sie zwängte sich durch die Stuhlreihe, setzte sich auf einen Platz, der mittig zur Leinwand lag. Sie befand sich eingekeilt zwischen Arbeitern, Soldaten und Frauen, die, in ärmlicher Eleganz gekleidet, ungeniert laut plauderten und lachten. Die Ungezwungenheit löste in ihr ein befreiendes Gefühl aus, als würde sie von einem frischen Wind erquickt. Immer mehr Menschen strömten in die Vorstellung. Schließlich lehnten auch Zuschauer an den Wänden.
    Â»Bier, Brot, Salzstangen, Apfelsinen!«, schallte es durch den Raum. Ein Junge bahnte sich mit seinem Bauchladen einen Weg durch die Menge.

    Theo verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie wirkte wie jemand, der nur selten ein Kino wie seines besuchte, unsicher, mit ängstlich hochgezogenen Schultern, die das Ungewohnte verrieten, wie eine Bürgerliche, die sich unter das niedere Volk mischte. Er bemerkte ein Lächeln auf ihren Lippen, zunächst vorsichtig, dann selbstverständlicher, und ihr Körper, der einer kleinen Kugel glich, entspannte sich. Sie schien Gefallen an der Ungeniertheit der einfachen Leute zu finden. Das aufkeimende Lächeln und die Gelöstheit, die sich in ihr ausbreitete, ließ sie geschmeidig erscheinen und erinnerte ihn an fließende Seide.

    Das Saallicht erlosch. Ein weißer, sprühender Lichtkegel durchbrach den dichten Qualm und Staub, der im
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