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Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Palast der Schatten - historischer Kriminalroman

Titel: Palast der Schatten - historischer Kriminalroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Brücken abbrechen. Die Vergangenheit war tot. Kein Gedanke mehr daran. Nie wieder zurück, nie mehr. Weit weg, weg von allem. Ein neues Leben anfangen.
    Berauscht von diesem Gedanken öffnete sie ihre Tasche, zog den Briefumschlag mit dem Geld hervor und zählte im Licht des Nachtlämpchens die Scheine. Noch 260 Mark. Ihr Blick schweifte ins Ungewisse. Wie lang konnte sie damit auskommen? Sie brauchte Kleidung, Waschzeug, ein Zimmer. Sie kramte nach ihrem Ausweis. Erleichtert stellte sie fest, dass er sich in der Tasche befand.

    Carla versank in der schwarzen Nacht, die unendlich und konturenlos vorüberglitt. Vor den Bahnhöfen verlangsamte der Zug die Fahrt. Lichter tauchten aus der Dunkelheit auf, kleine Punkte in weiter Ferne, die sich zu immer größeren Gebilden zusammenfügten. Waren es Hoffnungsschimmer oder Grabkerzen?
    Das Räderwerk sang seine monotone Melodie. Carla fiel in einen dumpfen Dämmer, der in einen friedlosen Eisenbahnschlaf mündete. Sie trieb in einem leeren, schwarzen Loch, umgeben von der Hülle der ratternden Geräusche, die sie betäubten.
    Die Bremsen kreischten. Der Zug hielt ruckartig. Türenkrachen. Carla schreckte aus ihrem Halbschlaf auf.
    Â»Guten Abend«, tönte eine tiefe Männerstimme. »Sie gestatten?«
    Carla blinzelte furchtsam ins Dämmerlicht. Wieder überfiel sie Übelkeit. Die Bestie Angst hatte sie fest im Griff.
    Der dicke, talgige Schnurrbart-Mann verstaute seinen braunen, an den Ecken abgenutzten Koffer, legte den Hut auf die Ablage und setzte sich ihr schräg gegenüber. Carla fasste nach ihrer Tasche.
    Er löste seine Krawatte, stieg aus seinen abgewetzten, aber blank geputzten Schuhen, lehnte sogleich seinen Kopf ans Polster und schloss die Augen. Er war offensichtlich nicht an ihr oder einer Unterhaltung interessiert. Ein sonores Schnarchen ertönte.

    Carla starrte in die Finsternis. Wie war es nur dazu gekommen? Wem hätte sie sich denn anvertrauen können? Sie konnte doch mit niemandem darüber sprechen. Ausgeschlossen. Vielleicht täuschte sie sich, vielleicht war das Geschehene nur ein Traum, das Erlebte nur ein Missverständnis. Ein ersticktes Schluchzen zerriss ihr die Brust. Ihr Leben war ruiniert. Sie lachte lautlos auf. Ihr Leben? Was war das, ihr Leben?
    Sie spähte aus dem Fenster. Wo eben noch Berge und Hügel aus dem Boden aufragten, zog flaches Land vorbei, eine weite Landschaft, die sich in morgendlichen Dunst hüllte. Sie empfand die unendliche Ebene, die sich vor ihr erstreckte, als ein Spiegelbild ihrer ungewissen Zukunft. Nichts zeigte ihr eine Richtung, kein Gipfel war zu erklimmen, kein Tal zu durchschreiten. Ein weites Land ohne Konturen, als einzige Begrenzungen der Felder und Wiesen die Knicks, dunkelgraue, langgezogene Silhouetten, die in den Trübungen lagen und sich in der Ferne verloren.

Filmwechsel
    Theo saß am Schreibtisch, umgeben von Zeitschriftenstapeln, Programmheften, Rechnungen und Filmbüchsen. Er hämmerte mit den Zeigefingern auf die Schreibmaschinentasten.

    â€ºBitte schicken Sie mir für die nächste Woche zwei- bis dreihundert Meter Liebesidylle. Falls Sie einen Unglücksfall am Lager haben sollten, so möchte ich ihn ebenfalls für nächste Woche haben. Wenn ›Der deutsche Kaiser in Rom‹ nicht mehr als ein Kilo wiegt, können Sie ihn auch beipacken.

    Mit freundlichen Grüßen
    Theo Blum‹

    Er zog den Briefbogen heraus und legte ihn neben die Schreibmaschine. Dann stellte er die Kaffeetasse in den Ausguss, ergriff seine Jacke, schloss die Wohnungstür und stieg die Treppe zum Kino hinunter. Seit einem Jahr besaß er das Ladenkino und lebte in der Mansarde über dem Saal. Die Wohnküche ging zur Straße hinaus, das Schlafzimmer lag zum Hof hin. Er fühlte sich wohl in seinen vier Wänden, obgleich ihm das Wanderleben mit der Kinematographenbude besser gefallen hatte. Er vermisste den Wohnwagen, die Ortswechsel und die Gemeinschaft der Schausteller. Dennoch war er glücklich und zufrieden. Er genoss es, unabhängig zu sein, seine eigenen Entscheidungen treffen zu können. Ein anderes Leben konnte er sich nicht vorstellen.
    Theo öffnete die Tür zum Saal und schob den Vorhang beiseite. Er durchquerte den lang gestreckten Raum, holte die Leiter aus der Abseite, tauschte die durchgebrannten Birnen gegen neue aus. Dann ergriff er den Werkzeugkasten, leimte die wackelnden Lehnen und
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