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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany
Autoren: John Irving
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still vor sich hin und
wartete darauf, daß jemand ihn wieder abhängte und herunterließ. [18]  Und nach der Turnstunde hängte ihn jemand in sein
Kleiderspind und schloß die Tür. »DAS IST ÜBERHAUPT NICHT LUSTIG!
ÜBERHAUPT NICHT LUSTIG!« schrie er so lange, bis sich jemand
seiner Meinung anschloß und ihn aus der Gefangenschaft befreite.
    Wie hätte ich damals wissen können, daß Owen ein Held war?
    Ich möchte gleich zu Anfang sagen, daß ich ein Wheelwright war – das war der Familienname, der in der Stadt zählte: die Wheelwrights. Und
Wheelwrights empfanden kaum Sympathie für die Meanys. Wir waren eine
matriarchalische Familie, denn mein Großvater starb bereits in jungen Jahren
und ließ meine Großmutter alleine zurück, und sie schlug sich wirklich
großartig durch. Großmütterlicherseits bin ich ein Nachkomme von John Adams
(ihr Mädchenname war Bates, und ihre Familie war mit der Mayflower nach Amerika
gekommen); und dennoch, in dieser Stadt war es der Name meines Großvaters, der
zählte, und meine Großmutter trug diesen Namen mit einem derartigen
Selbstbewußtsein, daß sie ebensogut eine Wheelwright und eine Adams und eine Bates hätte sein können.
    Ihr Vorname war Harriet, doch für nahezu jeden war sie Mrs.
Wheelwright – und unbedingt für jeden aus Owen Meanys Familie. Ich glaube,
Großmutter brachte jeden, der den Namen Meany trug, immer nur mit George Meany
in Verbindung – dem Gewerkschaftsführer und Zigarrenraucher. Gewerkschaften und
Zigarren paßten Harriet Wheelwrights Meinung nach nicht zusammen. (Soweit ich
weiß, sind George Meany und die Meanys aus unserer Stadt nicht miteinander
verwandt.)
    Ich wuchs in Gravesend, New Hampshire, auf; dort gab es keine
Gewerkschaften – zwar ein paar Zigarrenraucher, aber keine Gewerkschaftler.
Reverend John Wheelwright, nach dem ich benannt wurde, kaufte meine
Geburtsstadt 1638 von einem indianischen Sagamore. In Neuengland hießen die
Häuptlinge und höheren Tiere bei den Indianern Sagamores; doch der [19]  einzige Sagamore, den ich als Kind kannte, war
der Hund eines Nachbarn (ein Labradorrüde, der, wie ich glaube, nicht wegen seiner indianischen Vorfahren so genannt
wurde, sondern weil der Besitzer einfach keine Ahnung hatte). Der Besitzer von
Sagamore, Mr.   Fish, erzählte mir immer, er habe seinen Hund nach einem See
benannt, in dem er im Sommer immer schwimmen gegangen war – »als ich noch jung
war«, so sagte Mr.   Fish. Der arme Mr.   Fish: Er wußte nicht, daß der See nach
den Indianerhäuptlingen benannt war – und daß es mit ziemlicher Sicherheit eine
Beleidigung für die Geister war, einen hundsgewöhnlichen Labradorrüden
»Sagamore« zu nennen. Und wie sich noch zeigen wird, war es das wirklich.
    Doch die Amerikaner haben es nicht so sehr mit Geschichte, und so
glaubte ich, wie mein Nachbar, jahrelang, »Sagamore« sei ein indianisches Wort
für See. Sagamore wurde von einem LKW überfahren, der
Windeln transportierte, und heute bin ich überzeugt, daß die Götter der
beunruhigten Wasser dieses oftmals mißbrauchten Sees die Hand dabei im Spiel
hatten. Meiner Meinung wäre es eine bessere Geschichte, wenn Mr.   Fish durch
diesen Windellaster umgekommen wäre – doch genaugenommen ist es bei Göttern
immer das gleiche: Sie rächen sich an den Unschuldigen. (Dies ist ein Teil
meines ganz persönlichen Glaubens, der bei meinen Freunden aus der
kongregationalistischen, anglikanischen und auch der Episkopalkirche auf
Widerspruch stößt.)
    Um auf meinen Vorfahren John Wheelwright zurückzukommen: der landete
1636 in Boston, nur zwei Jahre, bevor er unsere Stadt kaufte. Er kam aus
Lincolnshire in England, einem kleinen Dorf namens Saleby, und niemand weiß,
warum er unsere Stadt Gravesend nannte. Zu dem englischen Gravesend hatte er,
soweit bekannt, keine Verbindung, obwohl das sicherlich die Stadt ist, nach der
unser Gravesend benannt wurde. Wheelwright hatte in Cambridge studiert; er
hatte zusammen mit Oliver Cromwell [20]  Fußball
gespielt – der bewunderte Wheelwright (als Fußballspieler) auf eine
schizophrene Weise. Oliver Cromwell glaubte, Wheelwright sei ein gemeiner, ja
fieser Spieler, der die Technik, seinem Gegner ein Bein zu stellen und sich
dann auf ihn fallen zu lassen, perfektioniert habe. Gravesend (das britische)
liegt in Kent – ein ganzes Stück von Wheelwrights Jagdgründen entfernt.
Vielleicht hatte er dort einen Freund, der mit ihm nach Amerika kommen wollte,
dann aber England nicht
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