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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany
Autoren: John Irving
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verlassen konnte oder auf der Schiffsreise gestorben
war.
    Der History of Gravesend, N. H., von Wall
zufolge war Reverend John Wheelwright ein guter Geistlicher der anglikanischen
Kirche gewesen, bis er »die Autorität gewisser Dogmen anzuzweifeln begann«; er
wurde Puritaner und schließlich »von den klerikalen Mächten wegen seines
Nonkonformismus zum Schweigen gebracht«. Ich spüre, daß meine eigene religiöse
Verwirrung und Starrköpfigkeit zum großen Teil von meinem Vorfahren herrührt,
der nicht nur, ehe er sich auf den Weg in die Neue Welt machte, die Kritik der
englischen Kirche auf sich zog; als er angekommen war, geriet er auch mit
seinen puritanischen Brüdern in Boston in Konflikt. Zusammen mit der berühmten
Mrs.   Hutchinson wurde Rev. Mr.   Wheelwright aus der Massachusetts Bay Colony
verbannt, weil er den »Bürgerfrieden« störte; in Wahrheit bestand sein
Aufwieglertum lediglich darin, daß er einige unorthodoxe Meinungen bezüglich der
Lokalisierung des Heiligen Geistes anbot – doch Massachusetts fällte ein hartes
Urteil. Er mußte seine Waffen abgeben, und mit seiner Familie sowie einigen
seiner mutigsten Anhänger segelte er nordwärts in die Great Bay, wo er an zwei
der frühen Vorposten in New Hampshire vorbeigekommen sein muß – der eine hieß
damals Strawberry Bank, an der Mündung des Pascataqua (heute Portsmouth), und
der andere war die Siedlung in Dover.
    Wheelwright folgte dem Squamscott River aus der Great Bay hinaus; er
segelte ihn hoch bis zu den Wasserfällen, wo das [21]  Wasser
nicht mehr salzig war und das Süßwasser anfing. Damals war der Wald sicherlich
noch dicht; die Indianer haben ihm bestimmt gezeigt, wie gut man hier fischen
konnte. Nach Walls History of Gravesend gab es dort
»Gebiete mit natürlichen Weiden« und »Marschland zu beiden Seiten des
Meerwasserflusses«.
    Der Sagamore in dieser Gegend hieß Watahantowet; statt mit einer
Unterschrift besiegelte er den Kaufvertrag mit einer Zeichnung seines Totems – einem armlosen Mann. Später gab es – nicht besonders interessante – Auseinandersetzungen über diesen Vertrag, und eine etwas interessantere
Spekulation darüber, warum Watahantowets Totem ein
armloser Mann war. Einige behaupteten, so habe sich der Sagamore gefühlt, als
er all sein Land aufgab – als hätte man ihm beide Arme abgeschlagen – und
andere wiesen darauf hin, daß die Figur in früheren »Signaturen« von
Watahantowet zwar auch armlos war, aber eine Feder im Mund hatte; dies sollte
auf die Frustration des Sagamore darüber hindeuten, daß er nicht schreiben
konnte. Doch in mehreren anderen Zeichen, die Watahantowet zugeschrieben
wurden, hat die Figur einen Tomahawk im Mund und sieht vollkommen irre aus – oder aber sie macht eine Geste des Friedens: keine Arme, Tomahawk im Mund; alles
zusammen soll vielleicht darauf hindeuten, daß Watahantowet nicht kämpft. Egal,
was es mit der Unterschrift auf diesem umstrittenen Kaufvertrag nun auf sich
hatte, die Indianer zogen jedenfalls keinen Nutzen
aus der Beilegung dieses Meinungsstreites.
    Später fiel dann unsere Stadt unter die Zuständigkeit von
Massachusetts – was erklären könnte, warum die Einwohner von Gravesend die
Leute aus Massachusetts auch heute noch verachten. Mr.   Wheelwright ging dann
nach Maine. Mit achtzig hielt er eine Rede in Harvard und bat um Beiträge für
die Wiederherstellung eines Teils des College, der bei einem Brand zerstört
wurde – und demonstrierte damit, daß er den Bürgern von Massachusetts gegenüber
weniger nachtragend war, als es jeder andere [22]  Bewohner
von Gravesend gewesen wäre. Wheelwright starb mit fast neunzig Jahren in
Salisbury, Massachusetts, als geistiger Führer der Kirche.
    Doch wenn man sich die Namen der Gründerväter von Gravesend ansieht,
wird man keinen Meany darunter finden.
    Barlow
Blackwell
Cole
Copeland
Crawley
Dearborn
Hilton
Hutchinson
Littlefield
Read
Rishworth
Smart
Smith
Walker
Wardell
Wentworth
Wheelwright
    Ich glaube kaum, daß meine Mutter ihren Mädchennamen deshalb
beibehalten hat, weil sie eine Wheelwright war; ich glaube, der Stolz meiner
Mutter hatte nichts mit ihren Wheelwright-Vorfahren zu tun, sondern sie hätte
ihren Mädchennamen auch dann beibehalten, wenn sie eine geborene Meany gewesen
wäre. Und ich hatte keine Schwierigkeiten in den Jahren, in denen ich ihren
Namen trug; ich war der kleine Johnny Wheelwright, Vater unbekannt, und ich
fand das – damals – in Ordnung. Ich begehrte nie auf.
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