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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle
Autoren: R Merle
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    |5| ERSTES KAPITEL
    Leser, in diesem fünften Band meiner Memoiren will ich schildern, wie ich die Belagerung von La Rochelle erlebte – neben der
     von Breda die längste und berühmteste Belagerung der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts.
    Es ging, wie Richelieu sagte, um Entscheidendes. Die Protestanten oder Hugenotten, wie man sie damals nannte, hatten einen
     Staat im Staate geschaffen und in einem fort gegen den König rebelliert.
    Nun galt aber La Rochelle, die Zitadelle der hugenottischen Macht innerhalb des Königreiches, bekanntlich als unbezwingbar.
     Zu Lande machtvoll befestigt, lag es zum Ozean weit offen und konnte sowohl von seiner eigenen Flotte versorgt werden wie
     auch von der seiner Verbündeten. Das waren paradoxerweise das höchst katholische Spanien, das allerdings viel versprach und
     nichts hielt, und das protestantische England, das tatsächlich dreimal in den Krieg zwischen Ludwig XIII. und seiner aufsässigen
     Stadt eingriff.
    Dabei hatten sich die englischen Sympathien lange Zeit passiv gehalten. Diese Passivität endete erst durch ein vor der Weltgeschichte
     scheinbar nichtiges Ereignis: einen in einem nächtlichen Garten geraubten Kuß.
    Und das Wer-Wem will ich dem Leser nicht vorenthalten, wenn ich es auch gerafft darstelle, denn diese Affäre habe ich umfänglich
     im vorigen Band meiner Memoiren erzählt.
    Im Jahr 1625, in dessen Verlauf der Prinz von Wales König Karl I. von England wurde, begab sich sein Favorit, Lord Buckingham,
     nach Paris und hielt für seinen Herrn um die Hand von Prinzessin Henriette-Marie, der Schwester Ludwigs XIII., an. Die wurde
     ihm gewährt. Auf dem Heimweg aber machte er bei einbrechender Nacht in einem Garten von Amiens der Königin von Frankreich
     so inständig den Hof, daß sie um Hilfe rief, sonst wäre sie seinen Armen kaum entronnen. Der Skandal war fürchterlich, und
     Ludwig XIII. verbot dem Unverfrorenen, |6| den Fuß jemals wieder auf französischen Boden zu setzen.
    So wohlverdient dieses Verbot auch war, mochte Buckingham es doch nicht hinnehmen. Zur Rache dafür, der Wonnen, die er in
     Paris als sehr begünstigter Freund der diabolischen Reifröcke genossen hatte, auf immer beraubt zu sein, fiel er ohne Ankündigung
     über die Insel Ré her, besetzte sie und wurde dabei von den Rochelaisern unterstützt und versorgt. Als er die Zitadelle Saint-Martin-de-Ré,
     in der sich Toiras mit seinen Truppen verschanzt hatte, aber nicht zu Fall bringen konnte und obendrein von der Entsatzarmee
     unter Schombergs Befehl in die Zange genommen wurde, mußte er seine Eroberung räumen und verlor bei der Einschiffung die Hälfte
     seiner Männer.
    Was mich angeht, so wünschte ich mir nach den Strapazen und Entbehrungen der endlosen Belagerung, die ich mit Toiras und seinen
     Soldaten in der Zitadelle Saint-Martin-de-Ré ausgestanden hatte, nichts so sehnlich, wie die häuslichen Freuden auf meinem
     Gut Orbieu zu genießen, »welches mir eine Provinz ist und noch viel mehr«.
    Aber, ach! daraus wurde nichts. Um ehrlich zu sein, getraute ich mich nicht einmal, mir von Ludwig XIII. einen Urlaub zu erbitten,
     denn mit der Vertreibung der Invasoren von der Insel war der Krieg keineswegs beendet. Die Engländer weilten noch auf unserem
     Boden, da erklärten die Rochelaiser uns am zehnten September 1627 den Krieg, und zwar nach einem sonderbaren, endlos langen
     Gegenüber, sie hinter ihren Mauern, wir davor, ohne daß auch nur ein Schuß gefallen wäre.
    »Was soll das?« sagten die Engländer, »das ist doch nicht Krieg, nicht Frieden.« Und sie trafen den Nagel auf den Kopf, so
     groß nämlich war auf beiden Seiten der Widerwille, sich erneut in die Schrecken eines Bürgerkrieges zu stürzen.
    Die unauslöschliche Erinnerung an die ein halbes Jahrhundert währenden Verfolgungen hatte unsere armen Hugenotten über die
     Maßen empfindlich gemacht. Hinter jedem kleinsten Wort, jedem geringsten Anschein witterten sie Bedrohungen. Das Edikt von
     Nantes hatte ihnen so große Freiheiten und Privilegien gebracht, daß sie gewissermaßen einen Staat im Staate bilden konnten,
     trotzdem waren sie nicht zufrieden, sie blieben aufsässig und fordernd und voller Argwohn. Damit nicht genug, brachen sie
     selbst die Klauseln jenes Edikts, das einzig |7| ihrem Schutz diente. Sie scheuten sich nicht, im Béarn die katholischen Priester zu verjagen, dem König Städte oder Inseln
     zu rauben, im bretonischen Pertuis seine Schiffe zu kapern
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