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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany
Autoren: John Irving
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Bohrhammer, wie Owen das Ganze nannte – und zum
Dynamit.
    Ich habe mich immer gewundert, daß Owen nicht taub war; daß mit
seiner Stimme und seiner Größe etwas nicht stimmte, war um so erstaunlicher
angesichts der Tatsache, daß seine Ohren in Ordnung waren – denn die Arbeit mit
Granit ist eine ohrenbetäubende Angelegenheit.
    Owen war es, der mich mit Walls History of
Gravesend vertraut machte; während ich das Buch erst ganz durchlas, als
ich fast mit der Schule fertig war (damals mußte ich es im Rahmen eines
Heimatkundeprojekts lesen), hatte Owen es schon gelesen, ehe er zehn war. Er
sagte mir, das Buch sei VOLLER WHEELWRIGHTS.
    Ich wurde im Wheelwright-Haus in der Front Street geboren; und
ich habe mich immer gefragt, warum meine Mutter mich einfach in die Welt setzte
und nie auch nur ein Wort der Erklärung fallen ließ – weder mir noch ihrer
eigenen Mutter und Schwester gegenüber. Meine Mutter war kein Flittchen. Ihre
Schwangerschaft und ihre Beharrlichkeit, nicht darüber zu reden, muß die [28]  Wheelwrights um so stärker getroffen haben, als
meine Mutter solch ein ruhiger, bescheidener Mensch war.
    Sie hatte im Boston & Maine, dem Zug,
mit dem sie einmal die Woche nach Boston fuhr, einen Mann getroffen; das war
alles, was sie sagte.
    Meine Tante Martha war im letzten College-Jahr und schon verlobt,
als meine Mutter verkündete, sie würde sich nicht einmal zur Aufnahmeprüfung
fürs College melden. Mein Großvater lag im Sterben, und vielleicht wurde meine
Großmutter durch die Fürsorge für ihren Mann davon abgehalten, bei meiner
Mutter auf dem zu bestehen, worauf die Familie bei Tante Martha bestanden
hatte: auf einer Ausbildung am College. Sie könne sich ja, so das Argument
meiner Mutter, zu Hause nützlich machen, wo doch ihr Vater im Sterben lag – und
wo ihre Mutter jetzt so viel Sorge und Kummer hatte. Und Reverend Lewis
Merrill, der Geistliche der kongregationalistischen Kirche und Leiter des
Chores, in dem auch meine Mutter sang, hatte meine Großeltern davon überzeugt,
daß die Stimme meiner Mutter wirklich eine professionelle Ausbildung verdiente.
Wenn sie ernsthaft Sprech- und Gesangsunterricht nehme, sagte Rev. Mr.   Merrill,
dann sei das im Falle meiner Mutter eine genauso gute »Investition« wie eine
Ausbildung am College.
    Zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens, dachte ich immer, hat es einige
Interessenskonflikte gegeben. Wenn Sprech- und Gesangsunterricht so wichtig für
sie waren, warum nahm sie ihn dann nur einmal die Woche? Und wenn meine
Großeltern Mr.   Merrills Einschätzung der Stimme meiner Mutter Glauben
schenkten, warum waren sie dann so dagegen, daß sie eine Nacht in der Woche in
Boston verbrachte? Meiner Meinung nach hättesie ganz in Boston wohnen und jeden Tag Stunden nehmen müssen!
Doch ich nahm an, die Ursache dieser Interessenskonflikte lägen in der
tödlichen Krankheit meines Großvaters – meine Mutter wollte zu Hause helfen,
und meine Großmutter brauchte sie auch.
    [29]  Die Sprech- und Gesangsstunde
fand am frühen Morgen statt; deshalb mußte sie die Nacht davor in Boston
verbringen, das anderthalb Zugstunden von Gravesend entfernt lag. Ihr Sprech-
und Gesangslehrer war recht bekannt; er hatte nur am frühen Morgen Zeit für
meine Mutter. Sie konnte froh sein, daß er sie überhaupt nahm, meinte Rev.
Lewis Merrill, denn normalerweise unterrichtete er nur Profis; obwohl meine
Mutter und meine Tante Martha viele Stunden im Chor der kongregationalistischen
Kirche gesungen hatten, war meine Mutter kein »Profi«. Sie hatte einfach nur
eine schöne Stimme, und auf ihre alles andere als rebellische, eher schüchterne
Art ließ sie ihre Stimme ausbilden.
    Die Entscheidung meiner Mutter, ihre Ausbildung abzukürzen, konnten
ihre Eltern noch eher akzeptieren als ihre Schwester; Tante Martha war nicht
nur dagegen – nein, meine Tante (eine wunderbare Frau übrigens) beneidete meine
Mutter, wenn auch nur ein ganz klein wenig. Meine Mutter hatte die bessere
Stimme, und sie war hübscher. Als die beiden in dem großen Haus in der Front
Street heranwuchsen, brachte Tante Martha Jungen von der Gravesend Academy mit
nach Hause, um sie meinen Großeltern vorzustellen – Martha war die ältere und
somit die erste, die »Beaus«, wie meine Mutter sie nannte, mit nach Hause
brachte. Doch sobald sie meine Mutter sahen – auch, als sie noch viel zu jung
war, um mit ihnen auszugehen – bedeutete das normalerweise das Ende ihres
Interesses an Tante Martha.
    Und jetzt
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