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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany
Autoren: John Irving
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neben mir nach Luft schnappte und drehte mich
um, wollte sehen, wohin er schaute.
    »Was hast du denn?« fragte ich ihn. »Das sind doch nur Pinguine.«
    Die Nonnen – es waren zwei – holten jemanden von der Maschine ab,
die eben gelandet war; sie standen am Tor zur Landebahn. Die ersten Passagiere,
die das Flugzeug verließen, waren zwei weitere Nonnen. Sie winkten einander zu.
Als die Kinder aus dem Flugzeug drängelten – dicht hinter den Nonnen – meinte
Owen Meany: » DA SIND SIE!«
    Selbst aus dieser Entfernung konnte ich erkennen, daß es asiatische
Kinder waren –, eine der Nonnen, die aus dem Flugzeug stieg, war ebenfalls
Asiatin. Es war etwa ein Dutzend Kinder; nur zwei von ihnen waren noch so
klein, daß man sie tragen mußte –, eines trug eine der Nonnen, das andere eines
der älteren Kinder. Es waren Jungen und Mädchen –, das Durchschnittsalter
mochte fünf oder sechs sein, aber ein paar von ihnen waren auch schon [843]  zwölf oder dreizehn. Es waren vietnamesische
Waisenkinder, die aus ihrem Land geflohen waren.
    Viele Armeeinheiten unterstützten Waisenhäuser in Vietnam; viele von
den Soldaten opferten ihre Zeit und was sie an Geschenken von zu Hause erbitten
konnten, um den Kindern zu helfen. Es gab kein offizielles staatlich
gefördertes Programm, um vietnamesische Kinder in Sicherheit zu bringen – nicht
bevor Saigon fiel, im April 1975 –, doch einige Kirchen waren den ganzen Krieg
über in Vietnam tätig.
    Der katholische Hilfsdienst zum Beispiel; die katholischen
Hilfsgruppen brachten seit Mitte der sechziger Jahre Waisenkinder aus Vietnam
in die USA. Bei der Ankunft in den
Vereinigten Staaten wurden die Kinder von Sozialarbeitern der Erzdiözese der
Stadt, in der sie gelandet waren, in Empfang genommen. Die Lutheraner
beteiligten sich ebenfalls an der Finanzierung dieser Umsiedlungsaktion.
    Die Kinder, die Owen und ich in Phoenix sahen, wurden von Nonnen vom
katholischen Hilfsdienst begleitet; die übergaben sie in die Obhut von Nonnen
der Erzdiözese Phoenix, die sie in ihre neue Heimat, zu ihren neuen Familien in
Arizona brachten. Owen und ich konnten sehen, daß die Kinder Angst hatten.
    Wenn die Hitze auch kein Schock für sie war – wo sie herkamen, war
es sicher sehr heiß –, die Wüste und der unermeßliche Himmel und die
Mondlandschaft um Phoenix muß sie überwältigt haben. Sie hielten einander an
den Händen und blieben beieinander stehen, dicht um die Nonnen gedrängt. Ein
kleiner Junge weinte.
    Als sie das Flughafengebäude betraten, kühlte sie der Schwall der
Klimaanlage augenblicklich ab; sie froren –, sie hatten die Schultern
hochgezogen und rieben sich mit den Händen die Arme. Der kleine Junge, der
weinte, versuchte sich in das schwarze Gewand einer der Nonnen einzuwickeln.
Sie liefen alle völlig orientierungslos umher, und aus den Spielsalons starrten
die jungen Rekruten mit den kahlrasierten Köpfen auf sie. Die [844]  Kinder starrten ihrerseits die Soldaten an; sie
waren natürlich an Soldaten gewöhnt. Als die Kinder und die Soldaten einander
so anstarrten, konnte man die gemischten Gefühle auf beiden Seiten spüren.
    Owen Meany war furchtbar aufgeregt. Eine der Nonnen sprach ihn an:
»Herr Offizier?«
    »JA, MA’AM – WIE KANN ICH IHNEN BEHILFLICH SEIN?« erwiderte
er sofort.
    »Ein paar von meinen Jungen müssen auf die Toilette«, erklärte die
Nonne; eine ihrer jüngeren Kolleginnen kicherte. »Wir können die Mädchen
begleiten«, fuhr die erste Nonne fort, »aber wenn Sie so freundlich wären und
mit den Jungen gingen?«
    »SELBSTVERSTÄNDLICH, MA’AM – ICH HELFE DEN KINDERN
GERNE «, sagte Owen Meany.
    »Wart ab, bis du die sogenannte »Herrentoilette« siehst«, sagte ich
ihm; ich ging voran. Owen konzentrierte sich auf die Kinder. Es waren sieben
Jungs; die vietnamesische Nonne kam mit uns –, sie trug den Kleinsten. Der
Junge, der geweint hatte, hörte in dem Augenblick damit auf, als er Owen Meany
sah. Alle Kinder musterten Owen aufmerksam; gut, sie hatten schon viele
Soldaten gesehen, aber noch nie einen, der nicht viel größer war als sie
selbst! Sie wandten den Blick nicht einen Augenblick von ihm ab.
    Wir marschierten weiter; als wir am Spielsalon vorbeikamen, stand
Major Rawls gerade mit dem Rücken zu uns da und bemerkte uns nicht. Rawls
schien eben voller Wut den Flipperautomaten besteigen zu wollen. An der
Einmündung eines Korridors, den ich vorher entlanggegangen war – er führte nirgendwohin –, kamen wir an
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