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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany
Autoren: John Irving
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ER ERZÄHLT NIE VON
VIETNAM – NUR IRGENDWELCHES RÄTSELHAFTE ZEUG WIE: DIE ARMEE HABE IHN NICHT
DARAUF VORBEREITET, FRAUEN UND KINDER UMZUBRINGEN ODER VON IHNEN UMGEBRACHT ZU
WERDEN. WEISS DER TEUFEL WARUM, ABER ER HAT’S NIE ZUM LIEUTENANT COLONEL GEBRACHT;
SEINE ZWANZIG DIENSTJAHRE SIND SCHON BEINAHE UM, UND ER IST VERBITTERT, WEIL ER
NOCH IMMER NUR MAJOR IST. ER IST NOCH KEINE VIERZIG UND SOLL SCHON PENSIONIERT WERDEN.«
    Major Rawls jammerte, wir seien viel zu früh dran; mein Flug nach
Boston gehe ja erst in zwei Stunden. Owen hatte keinen bestimmten Flug nach
Tucson gebucht – anscheinend gab es häufig Flüge von Phoenix nach Tucson, und
Owen wollte warten, bis ich weg war; dann würde er einfach die nächste Maschine
nehmen.
    »Es gibt angenehmere Orte, um seine Zeit zu verbringen, als diesen
Scheißflughafen«, schimpfte Major Rawls.
    »SIE BRAUCHEN NICHT MIT UNS ZU WARTEN – SIR«, sagte
Owen Meany.
    Doch Rawls wollte nicht alleine sein; ihm war nicht nach Reden
zumute, doch er wollte Gesellschaft haben –, oder er wußte selbst nicht, was er
wollte. Er ging in den Spielsalon und überredete ein paar junge Rekruten dazu,
mit ihm zu flippern. Als sie herausbekamen, daß er in Vietnam gewesen war,
drängten sie ihn, davon zu erzählen; doch er sagte nur: »Es ist ein idiotischer
Krieg –, und ihr seid Idioten, wenn ihr da rüber wollt.«
    Major Rawls wies die Rekruten auf Owen hin. »Ihr wollt nach Vietnam?
Redet mit ihm – redet mit dem kleinen Lieutenant. Er ist auch einer von den
Idioten, die rüber wollen.«
    Die meisten der frisch eingezogenen Rekruten waren unterwegs nach
Fort Huachuca; ihre Haare waren so kurz, daß man an den Stellen, wo die
Rasierklinge die Kopfhaut verletzt hatte, die [841]  Grinde
sehen konnte –, die meisten von den Jungs, die nach Fort Huachuca sollten,
würden wahrscheinlich bald nach Vietnam geschickt werden.
    »Sie sehen aus wie Kinder «, sagte ich zu
Owen.
    »KRIEGE WERDEN VON KINDERN GEFÜHRT «,
erwiderte Owen Meany; er sagte den jungen Rekruten, daß er glaubte, Fort Huachuca
werde ihnen gefallen. » DA SCHEINT DIE GANZE ZEIT DIE SONNE, UND ES IST
TROTZDEM NICHT SO HEISS WIE HIER.« Dabei sah er immer wieder auf
die Uhr.
    »Wir haben noch jede Menge Zeit«, beruhigte ich ihn, und er lächelte
mir zu – mit seinem typischen Lächeln, dieser Mischung aus mildem Bedauern und
Verachtung.
    Einige Flugzeuge landeten; andere hoben ab. Ein paar von den
Rekruten starteten nach Fort Huachuca. »Kommen Sie nicht mit, Sir?« fragten sie
Owen Meany.
    »SPÄTER «, antwortete er ihnen. » WIR SEHEN UNS SPÄTER.«
    Neue Rekruten trafen ein, und Major Rawls fand immer neue Opfer – er
war ein Profi beim Flippern.
    Ich klagte über meinen furchtbaren Kater; der von Owen mußte noch
schlimmer gewesen sein – oder zumindest ebenso schlimm – doch ich denke heute,
daß er ihn auskostete; er wußte, daß es sein letzter Kater war. Dann schien er
wieder verwirrt zu sein, er muß das Gefühl gehabt haben, absolut überhaupt
nichts zu wissen. Er saß neben mir, und ich konnte sehen, wie seine Stimmung
schwankte – von nervös zu depressiv, von besorgt zu freudig erregt. Ich dachte,
es liege an seinem Kater; doch er muß einfach einen Moment lang geglaubt haben:
» VIELLEICHT PASSIERT ES IM FLUGZEUG .« Und im nächsten
Augenblick muß er sich gesagt haben: » DA GIBT ES KEINE KINDER. ICH MUSS JA NICHT EINMAL
NACH VIETNAM –, ICH KANN DA SCHON NOCH DRUM HERUMKOMMEN.«
    Im Flughafen sagte er dann – aus heiterem Himmel – zu mir: »MAN MUSS KEIN GENIE SEIN, UM DIE ARMEE AUSZUTRICKSEN.«
    [842]  Mir war nicht klar, was
er damit sagen wollte, doch ich erwiderte: »Das mag wohl sein.«
    Im nächsten Augenblick muß er gedacht haben: »ES WAR
WIRKLICH NUR EIN VERRÜCKTER TRAUM! WER ZUM TEUFEL WEISS SCHON, WAS NUR GOTT
WISSEN KANN? ICH SOLLTE MAL ZUM PSYCHIATER GEHEN!«
    Dann erhob er sich und ging langsam auf und ab; er sah sich nach den
Kindern um; er suchte seinen Mörder. Dabei warf er immer wieder einen Blick auf
die Uhr.
    Als mein Flug angekündigt wurde – planmäßiger Abflug war in einer
halben Stunde – grinste Owen übers ganze Gesicht. » HEUTE IST
VIELLEICHT DER GLÜCKLICHSTE TAG IN MEINEM LEBEN!« meinte er. »VIELLEICHT PASSIERT JA ÜBERHAUPT NICHTS!«
    »Ich hab das Gefühl, du bist noch betrunken«, sagte ich ihm. »Wart
ab, der richtige Kater kommt noch.«
    Eben war ein Flugzeug gelandet; es kam von der Westküste und rollte
jetzt heran. Ich hörte, wie Owen
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