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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Autoren: Tad Williams
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anklammern mußten. Dennoch spürte sie, daß das Schiff an Fahrt gewann.
    Sie lehnte sich hinüber und spähte in die dunklen Wogen. Das funkelnde blaue Licht war jetzt zweifellos heller. Es sah aus, als ob ein ganzer Schwarm von exotischen biolumineszierenden Fischen das königliche Prunkschiff umringt hätte.
    Etwas explodierte direkt unter ihnen. Der gesamte Vorderteil des Schiffes stieg in die Höhe, wie von einer riesigen Hand emporgedrückt. Renie fiel aufs Deck und kam ins Rutschen. Das Schiff neigte sich zur Seite, doch dann schien es wie ein lebendiges Wesen sein Gleichgewichtszentrum zu finden und stieß geradewegs in ein Wellental hinab.
    In dem sich ringsherum auftürmenden Wasser pulsierte blaues Licht, so daß es lebendig zu sein schien.
    Es war lebendig, es war elektrisch aktiv, strahlend und von vibrierender, flirrender Vitalität erfüllt…
    Alle Geräusche des Meeres und des Schiffes und der explodierenden Granaten hörten schlagartig auf. In vollkommener Stille und einem absolut blauen Leuchten fuhren sie hinüber.
     
    Renies erster Gedanke war, sie wären im zeitlosen Nu einer Explosion steckengeblieben, im öden Kern eines Quantenereignisses, das niemals enden würde. Das helle Licht, eher weiß jetzt als blau, blendete sie so sehr, daß sie vor Schmerz die Augen schließen mußte.
    Als sie sie einen Moment später vorsichtig öffnete, war das Licht immer noch da, aber sie begriff, daß es nur die Helligkeit eines ganz normalen Tageshimmels war. Sie hatten die Nacht in Temilún hinter sich gelassen.
    Ihr zweiter Gedanke war, daß die letzte Explosion wohl das gesamte Oberteil des Prunkschiffes weggesprengt hatte. Sie schaukelten immer noch auf dem Wasser, und die Küste, die jetzt in kristallklarem Tageslicht lag und deren bestürzend riesige Bäume breit und hoch wie Wolkenkratzer waren, war sehr deutlich zu sehen, aber es gab keine Reling mehr, über die man blickte.
    Renie stellte fest, daß sie auf den Knien lag und sich dort, wo vorher die Reling gewesen war, an etwas festhielt, das krumm und faserig und so dick wie ihr Arm war. Sie robbte sich herum und schaute, was mit dem Rest des Prunkschiffs passiert war, mit dem Ruderhaus, dem königlichen Gemach …
    Ihre Gefährten lagen inmitten von etwas, das groß und flach war, aber ansonsten keinerlei Ähnlichkeit mit einem Schiff hatte – mit seinen Rippen und Dellen sah es aus wie eine riesige moderne Skulptur, ein Ding, das sich an den Rändern hochbog und unter Renies Hand die steife Konsistenz von Krokodilsleder hatte.
    » !Xabbu ?« sagte sie. »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Wir haben alle überlebt.« Er hatte immer noch seinen Paviankörper. »Aber wir…«
    Der Rest seines Satzes ging in einem anschwellenden Brummen aus der Höhe unter. Sie starrte die Fläche an, auf der sie alle lagen, die Ausgefranstheit der sich vom Wasser wegkrümmenden Ränder, und erkannte, womit das Ding, auf dem sie dahintrieben, eine Ähnlichkeit hatte. Es war keineswegs ein Schiff, sondern …
    »Ein … Blatt?«
    Das Brummen wurde immer lauter und erschwerte das Nachdenken. Die riesenhaften Bäume an der fernen Küste … das würde es erklären. Sie waren gar keine Täuschung, Verzerrung und Entfernung hatten nichts damit zu tun. Aber war hier einfach alles viel zu groß, oder waren sie und ihre Gefährten …?
    Das Dröhnen gellte ihr in den Ohren. Aufblickend sah Renie ein Wesen von der Größe eines einmotorigen Flugzeugs über sich dahingleiten, einen Augenblick flügelschlagend auf der Stelle verweilen, so daß der Wind sie beinahe zu Boden gestreckt hätte, und dann wieder lossausen, wobei die Flügel wie Buntglas in der grellen Sonne schimmerten.
    Es war eine Libelle.
     
     
    > Jeremiah sah, wie er zum x-ten Mal die Schränke in der Küche nach Sachen durchstöberte, von denen sie beide wußten, daß sie nicht da waren.
    »Herr Sulaweyo?«
    Renies Vater riß die nächste Tür auf und schob mit nervöser Verbissenheit Großhandelsbehälter und verschweißte Rationspakete beiseite. Als er ein Loch freigeräumt hatte, langte er hinein, bis die Regalkante in seine Achselhöhle schnitt, und tastete blind im hinteren Teil des Schrankes herum.
    »Herr Sulaweyo. Joseph.«
    Er blickte sich mit rotgeränderten Augen zu Jeremiah um. »Was is?«
    »Ich möchte ein bißchen Hilfe haben. Ich sitze schon seit Stunden an der Konsole. Wenn du mich ablösen würdest, könnte ich uns was zu essen machen.«
    »Will nix essen.« Long Joseph machte sich wieder an
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