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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Autoren: Tad Williams
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lösten sich zwei der Gestalten auf dem Schiff von den übrigen und kamen die Gangway hinunter auf sie zu. Einer, dessen Umhang von silbernen Fischschuppen schillerte, machte den Eindruck eines einigermaßen hohen Tieres. Orlando überlegte kurz, ob er der Kapitän war, aber kam zu dem Schluß, daß niemand ein Leben auf See verbringen und eine so offensichtlich nicht vom Wetter gegerbte Haut haben konnte. Der andere Mann, ein Unteroffizier mit einem kleinen schlichten Umhang, der offensichtlich eine Art Leibwächter in der Temilúnischen Marine war, trug ebenfalls eine jener großen und abschreckenden Steinäxte im Gürtel und auf der anderen Seite eine Pistole mit Perlmuttgriff im Halfter.
    Renie hielt den Ring hoch. »Der Gottkönig schickt uns. Er gab uns dies und befiehlt dir, uns dorthin zu bringen, wo wir es wünschen.«
    Der Würdenträger beugte sich vor und inspizierte den Ring, wobei er die Hände respektvoll angelegt behielt. »Das sieht allerdings aus wie das Siegel des Höchsterhabenen. Und wer, wenn ich fragen darf, seid ihr?«
    »Wir sind eine Delegation aus …« Renie zögerte.
    »… der Bananenrepublik«, ergänzte Orlando hastig. »Mit dem Auftrag, den Höchsterhabenen um eine Gunst zu ersuchen.« Er blickte nach oben. Am Ende der Gangway brachte der Trupp wartender Matrosen das Kunststück fertig, gleichzeitig stramm stillzustehen und das Geschehen neugierig zu verfolgen. »Jetzt sollen wir mit einer Botschaft an unsere Gebieter zurückkehren.«
    »Aus der Ba…« Der Würdenträger schüttelte den Kopf, als wäre das alles zu viel für ihn. »Dennoch ist es sehr sonderbar, daß man uns nicht Bescheid gegeben hat.«
    »Der Gottkönig – der Höchsterhabene, wollte ich sagen – hat die Entscheidung eben erst getroffen …«, begann Renie.
    »Selbstverständlich.« Der Würdenträger verbeugte sich. »Ich werde den Palast kontaktieren, um die Auslaufgenehmigung zu erhalten. Bitte verzeiht mir – ich darf euch nicht an Bord lassen, bevor das geschehen ist. Ich bitte untertänigst um Vergebung für die Unannehmlichkeit.«
    Renie blickte hilflos erst !Xabbu und dann Orlando an.
    Orlando zuckte mit den Achseln und hatte Mühe, eine bleischwere Müdigkeit abzuschütteln. Er hatte es halb geahnt, daß so etwas passieren würde – daß er nicht im Thargorsim herumlaufen konnte, ohne sich damit bestimmte Verantwortungen anzulachen. Er schob sich etwas näher an den Leibwächter heran. Der Mann hatte die Pistole an der anderen Hüfte, außer Reichweite. Voll Bedauern schloß Orlando seine Finger um die Steinaxt, riß sie aus dem Gürtel und stieß gleichzeitig den überrumpelten Unteroffizier von der Gangway.
    »Faßt ihn«, sagte er und schubste den Würdenträger auf Renie und die anderen zu. Die Matrosen oben an Deck hatten ihre Schußwaffen gezogen und brüllten vor Überraschung. Orlando verließ sich darauf, daß die Furcht, diesen offensichtlich wichtigen Mann zu verletzen, sie daran hindern würde zu schießen. Er durfte jedoch nicht zulassen, daß sie sich andere Methoden der Festnahme überlegen konnten. »Folgt mir!« rief er, während er bereits die Brücke hinaufsprintete.
    »Was hast du vor?« schrie Fredericks.
    Orlando antwortete nicht. Wenn er von etwas eine Ahnung hatte, dann von virtuellem Nahkampf, und sein persönliches Motto Nummer eins lautete: »Kein überflüssiges Geschwätz.« Jetzt mußte er einfach beten, daß der Thargorsim trotz der Krankheit seines Trägers und der Behinderung durch ein ungewohntes System etwas von der ihm zugedachten Stärke und Schnelligkeit behalten hatte.
    »Helft ihm!« brüllte Fredericks von unten. »Die bringen ihn um!«
    Orlando sprang vom oberen Ende der Gangway mit einer Flugrolle aufs Deck und mähte die ersten beiden Matrosen von den Beinen. Er zog die Axt blitzschnell im Bogen herum und merkte, wie die Schneide sich ekelerregend in den Knochen fraß, als er einem anderen Matrosen die Kniescheibe zerschmetterte, aber er fühlte bereits seine normalerweise bruchlosen Reflexe stocken. Die drei Körper, die sich um ihn herum auf dem Deck krümmten, gaben ihm einen Moment lang dringend benötigte Deckung. Was er noch an Kraft hatte, und das war viel weniger, als er sonst in diesem Sim gewöhnt war, schwand rasch; schon jetzt brannte der Atem in seinen Lungen. Kaum war er auf den Knien, da sprang ihm auch schon jemand auf den Rücken und warf ihn so heftig nieder, daß er mit der Stirn aufs Deck knallte. Machtlos fühlte er, wie seine Glieder
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