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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Autoren: Tad Williams
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erschlafften, doch dann zwang er sich, noch einmal die Beine anzuziehen und in die Hocke zu gehen.
    Der Mann auf seinem Rücken versuchte, ihm einen Arm um den Hals zu legen. Während Orlando darum rang, ihn abzuwehren, erschien dicht vor seinem Gesicht eine Hand mit einer Pistole. Orlando hieb mit der Axt danach und wurde von einem Schmerzensgeheul belohnt; die Pistole schlidderte unter der Reling hindurch ins Wasser. Mit einer schnellen Duckung schleuderte er den Mann auf seinem Rücken zu Boden, dann langte er an den Gürtel des Mannes, dessen Kniescheibe er soeben zertrümmert hatte, und zog ihm die Pistole aus dem Halfter.
    Schatten umringten ihn, bedrängten ihn mehr und mehr. Der Impuls zu schießen, diese bedrohlichen Gestalten wegzupusten, war sehr stark, aber sie waren so viel lebensechter als seine üblichen Feinde, daß er zu seinem eigenen Verhängnis zögerte. Er warf die Pistole die Brücke hinunter. »Nehmt sie!« keuchte er und hoffte, einer seiner Gefährten würde sie auf der dunklen Gangway liegen sehen. Er wußte nicht, ob er laut genug gerufen hatte; sein Kopf füllte sich mit Echos.
    Mehrere andere Männer nutzten die Chance und packten ihn an Beinen und Armen. Ein weiterer ließ sich auf ihn drauffallen, rammte ihm ein Knie ins Kreuz und umklammerte mit starken Fingern seine Kehle. Ringend gelang es ihm, ein paar von seinen Angreifern wegzuschleudern, aber an ihrer Stelle stürzten sich die nächsten auf ihn. Er kämpfte wie wild darum aufzustehen, aber schaffte es nur, sich umzudrehen und mit hochgerecktem Gesicht verzweifelt nach Luft zu schnappen. Die Lichter in der Takelage des Staatsschiffes verzerrten sich und flackerten in der immer schwärzer werdenden Dunkelheit in seinem Kopf, als wären sie Sterne, die ihre verlöschenden Strahlen in die ewige Nacht des Weltraums hinaussandten.
    Komisch ist das, dachte er. Sterne, Lichter… alle nicht wirklich … alle wirklich …
    Etwas hämmerte auf seinen Kopf, ein dumpfes, rhythmisches Krachen, das seinen ganzen Schädel erschütterte. Jeder dröhnende Schlag war wie ein schwarzer Guß, und jedesmal stieg der Wasserstand höher.
    Er hörte jemand schreien, die Frau – wie hieß sie noch gleich? Egal. Der Atem, das Leben wurde ihm aus dem Leib gequetscht, und er war froh, es loszulassen. Er war so müde, so schrecklich müde.
    Er meinte, Fredericks nach ihm rufen zu hören, aber er konnte nicht antworten. Das war tatsächlich ein bißchen traurig. Fredericks hätten die Lichter gefallen – Sterne, es waren Sterne, nicht wahr? –, es hätte ihm gefallen, wie tapfer sie in der Dunkelheit brannten. Fredericks würde ihm fehlen …
     
    Er war an einem Ort, einem Zwischenort, wie es schien. Vielleicht war es ein Warteort. Er konnte über die ganze Sache keinen sehr klaren Gedanken fassen, und im Moment spielte es sowieso keine Rolle.
    Er lag irgendwo, soviel merkte er, aber er stand auch und überblickte eine gewaltige Schlucht. Eine ungeheure, schwarzglänzende Wand fiel unter ihm steil ab in ein wirbelndes Nebelmeer, so daß ihr Ende nicht abzusehen war. Auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht, durch die aufsteigenden Nebelschwaden undeutlich zu erkennen, lag die goldene Stadt. Aber irgendwie war es nicht dieselbe Stadt, die er vorher gesehen hatte – die Gebäude dieser Stadt waren höher und merkwürdiger als alles, was er sich hätte vorstellen können, und zwischen den Wendeltürmen huschten winzige strahlende Gestalten hin und her, leuchtende Lichtpünktchen, die Glühwürmchen hätten sein können. Oder Engel.
    Es ist schon wieder ein Traum, dachte er und hörte verdutzt, daß er es laut gesagt hatte. Sicherlich sollte er hier nicht sprechen, irgendwer lauschte, das wußte er, irgendwer – oder irgendwas? –, der ihn suchte, irgendwer, dem er nicht begegnen wollte.
    Es ist kein Traum, sagte ihm eine Stimme ins Ohr.
    Er schaute sich überrascht um. Auf einem glänzigen Buckel der glatten schwarzen Substanz saß ein Insekt von der Größe eines kleinen Hundes. Es bestand ganz und gar aus glitzernden Silberdrähten, aber war dennoch irgendwie lebendig.
    Ich bin’s, Boß, sagte es. Ich versuch schon seit Stunden, dich zu erreichen. Ich hab dich aufgedreht bis zum Anschlag und kann dich trotzdem kaum hören.
    Was… Es war so schwer zu denken. Der wattige Nebel war irgendwie auch in seinen Kopf hineingelangt. Wo…
    Mach schnell Boß, sag mir, was du willst. Wenn jemand reinkommt und sieht mich auf deiner Brust sitzen, schmeißt er
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