Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
»Aber ich habe … es gibt an meinem System Modifikationen, die es mir ermöglichen, mich im Netz zu orientieren. Ich sehe die Daten auf meine Weise.« Sie machte eine Pause; das Sprechen fiel ihr offensichtlich schwer. »In mancher Hinsicht kann ich dadurch meine Arbeit besser machen, als wenn ich sehen könnte, verstehst du? Aber jetzt ist alles ganz schlecht.«
    »Wegen der Informationsdichte, wie du sagtest?«
    »Ja. Ich … seit ich hier bin, ist es so, als würden mir die Leute laufend in beide Ohren schreien, als würde mich ein starker Wind herumwehen. Ich kann nicht …« Sie legte ihre zitternden Hände vors Gesicht. »Ich werde wahnsinnig. Ach, lieber Gott, hilf mir, ich werde wahnsinnig.« Ihre Züge verzerrten sich, obwohl ihr keine Tränen in die Simaugen traten. Ihre Schultern bebten.
    Renie konnte nichts tun, als die Weinende zu halten.
     
     
    > Zwei große Rettungsboote faßten die fünfunddreißig Mann Besatzung des Schiffes einigermaßen bequem. Renie stand an Deck, fühlte das Rütteln der Maschinen unter den Füßen und sah zu, wie der letzte Matrose mit fliegendem schwarzen Zopf von der Leiter ins Boot sprang.
    »Bist du sicher, daß ihr nicht noch ein Rettungsboot braucht?« rief sie zum Kapitän hinunter. »Dann hättet ihr es nicht so eng.«
    Er sah sie mit einem Blick an, der deutlich sagte, daß ihm ein derart weichherziges Piratentum unbegreiflich war. »Es ist nicht weit bis zum Ufer. Es wird gehen.« Er kaute auf seinem Lippenpflock und sinnierte, ob er schweigen sollte oder nicht. »Wisse, daß die Patrouillenschiffe sich nur deswegen ferngehalten haben, weil sie nicht das Leben der Besatzung gefährden wollten. Sobald wir in Sicherheit sind, werden sie euch binnen weniger Minuten anhalten und entern.«
    »Wir fürchten uns nicht.« Renie versuchte, zuversichtlich zu klingen, aber von ihrer ganzen Schar machte nur !Xabbu einen wirklich ruhigen Eindruck. Der kleine Mann hatte in der Kapitänskajüte ein langes Stück Schnur gefunden und konstruierte unbekümmert eine seiner verzwickten Fadenfiguren.
    Renies Vorhaben, die Geiseln freizulassen, bevor das Schiff den Rand der Simulation erreicht hatte, war Gegenstand einer langen Debatte gewesen, aber sie hatte eisern darauf beharrt. Sie wollte nicht das Risiko eingehen, die Temilúnis aus ihrer Welt hinauszuversetzen. Vielleicht konnte die Otherlandmaschinerie diese besonderen Umstände nicht kompensieren, so daß sie aufhörten zu existieren. Das schien ihr einem Massenmord gleichzukommen.
    Der Kapitän zuckte mit den Achseln und setzte sich. Er gab einem seiner Männer das Signal, den Motor anzulassen. Das Boot setzte sich in Bewegung und tuckerte dann mit zunehmender Geschwindigkeit hinter dem Boot des Attachés her, das nur noch ein weißer Punkt vor dem dunklen Hintergrund war.
    Ein Lichtstrahl schnitt von der anderen Seite des Staatsschiffes durch den Nebel und huschte über den unbesegelten Mast.
    »Da sind sie schon«, sagte William. Er hielt seine konfiszierte Pistole hoch und betrachtete sie traurig. »Die wird gegen die Königliche Federwischmarine nicht viel ausrichten können, was?«
    Weitere Lichter erschienen, diese allerdings ortsfest wie tief hängende Sterne. Mehrere große Schiffe kamen hinter ihnen rasch näher. Eines gab auf einer Dampfpfeife einen langen, tiefen Ton von sich, daß Renie die Knochen vibrierten.
    !Xabbu hatte seinen Bindfaden beiseite getan. »Vielleicht sollten wir uns überlegen…«
    Er hatte keine Gelegenheit, seinen Vorschlag fertig zu formulieren. Etwas zischte an ihnen vorbei und platschte vor dem Bug ins Wasser. Unmittelbar darauf leuchtete in der Tiefe ein Feuerball auf, der das Wasser in einer Fontäne aufspritzen ließ und an der Oberfläche als ein dumpfes Bumsen zu hören war.
    »Sie schießen auf uns«, schrie Fredericks aus einer der Luken. Renie zeichnete ihn im stillen für Albernheit vor dem Feind aus, als sie bemerkte, daß die explodierende Granate vor ihnen in der Tiefe eine unerwartete Nachwirkung hatte. Im Wasser glitzerten neonblaue Punkte.
    Renie hielt den Atem an. Sie versuchte sich auf den Namen des Roboter-Goggleboys zu besinnen, der im Ruderhaus des Schiffes postiert war, aber kam nicht darauf. »Sag dem Dingsbums da oben, volle Kraft voraus!« schrie sie. »Ich glaube, wir sind da!«
    Die nächste Granate flog über sie hinweg und zischte näher als die vorige ins Wasser. Von dem Aufschlag ging ein Ruck durch das Schiff, so daß Renie und William sich an der Reling
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher