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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe
Autoren: Gabriela Jaskulla
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zusammenkrümmte, den Kopf tief in ihre Jacke vergraben.
Schnell entfernten sich die Lichter von Stiftsdorf, und sie schienen direkt in einen schwarzen, undurchdringlichen Schlund hinabzufahren.
    »Hilda, woher weißt du den Weg?« rief Julia nach einer Weile.
    »Ich bin ihn tausendmal gefahren!« rief Hilda zurück, um dann hinzuzufügen: »... ist schon ein paar Jahre her! Als Kind! Da haben wir hier schon ein paarmal Urlaub gemacht. Damals waren die Wege hier sogar mit Stöcken abgesteckt!«
    Als Kind! Die Wege waren markiert gewesen! Nur nicht nachdenken, sagte sich Julia, nur nicht nachdenken. Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte sie sich, alles wäre nur ein böser, böser Traum...
    »Auah! Ah, Mist!«
    Das war Anne. Sie hatten ein paar Buckel im Eis überfahren, Denver schüttelte sich unwillig, als der Schlitten an ihm zerrte.
    Und dann sahen sie Lichter. Ganz kleine Lichter. Julia glaubte zunächst, daß nur ihre Augen brannten, so sehr hatte sie sich angestrengt, etwas zu erkennen, und der Wind, dieser feuchte, gefährlich warme Wind, trieb ihr Tränen in die Augen. Der Schnee, den Denvers Hufe aufwirbelten, flog ihr ins Gesicht, brannte wie Glut auf der Haut. Und doch waren es tatsächlich Lichter, kleine, zuckende Blitze da hinten in der Nacht. Taschenlampen.
    »Schau! Dort!«
    Sie riefen es gleichzeitig.
    Hilda parierte Denver vorsichtig durch, lenkte das Pferd nach rechts.
    »Hallo?«
    Der Wind trug ihre Stimme zurück zur Insel, verwehte sie. Im Schritt ging es weiter. Knackte da das Eis? Julia versuchte, in Annes Augen zu lesen. Die schienen völlig ruhig.
    »Hallo?!«
    Hildas Stimme klang jetzt schriller, aufgeregt. Sofort wurde auch das Pferd nervös. Hilda beherrschte sich. Sie kamen näher. Da war ein Wagen - nein, zwei. Aber der eine stand nicht gerade, und der andere - das war Hannos Landauer, mit Leo und Schorsch. Wo war Hanno? Anne sprang vom Schlitten, der nun, nur noch einseitig belastet, sofort ins Schlingern kam. Unsanft landete Julia auf dem Rücken, dann stand Denver. Sie rappelte sich hoch. Anne war schon fort, hin zu dem Wagen, dem Schlitten.
    »Hoh!« Hilda landete mit einem Sprung neben Julia. »Komm.«
    Sie ließen Denver einfach stehen, der war es so gewöhnt. Langsam gingen sie zu Anne, sehr langsam, denn tatsächlich knackte hier das Eis, schien zu schwanken. Gab es womöglich nach? Und dann sahen sie das Malheur:
    Schucks Kremser, der große Pferdewagen, war im Eis eingebrochen. Der gesamte hintere Teil des Wagens steckte im eisigen Wasser. Die komplette Ladung - mächtige rechteckige Kisten - war ins Rutschen geraten und zog Wagen und Pferde noch tiefer hinab. Auf der Ladung kauerte eine Gestalt, warf Gegenstände nach vorn, während Schuck neben den Köpfen der Pferde stand und sie vergeblich zu beruhigen versuchte. Heftig stieg der weiße Atem der beiden Wallache auf, sie waren naßgeschwitzt vor Anstrengung und Angst, und keinen Zentimeter bewegten sie sich vorwärts, bäumten sich nur immer wieder auf gegen die Hand, die sie zu beruhigen suchte. Und da war der Landauer, Hannos kleiner, eleganter Kutschwagen, und Leo und Schorsch standen gutmütig davor, und Hanno - da war Hanno, seitlich vom großen Wagen, und der schrie jetzt die Gestalt auf der Ladung an:
    »Komm da sofort runter, du Idiot! Oder ich hole dich eigenhändig!«
    Die Pferde schraken zusammen. Es knackte, etwas riß, es
gab ein häßliches Geräusch, und dann sank der Wagen noch tiefer ein.
    »Um Gottes willen!« Hilda war mit einem Satz bei Schuck, packte eines der Pferde am Halfter und versuchte, es nach vorne zu ziehen. »Komm, mein Junge! Na komm!«
    Nichts zu machen. In ihrer Panik bewegten sich die Tiere nicht. Julia zögerte, ging vorsichtig um den Kremser herum. Diese Langsamkeit! Ihre Langsamkeit! Sie glaubte, ihre Beine seien aus Blei, wie in den Träumen, wenn man vor einem Verfolger zu fliehen versucht. Aber sie schaffte es.
    »Julia?!«
    »Ich seh dich! Hanno, ich seh dich!«
    Da war er, der Satz von früher. Nicht darüber nachdenken. Hannos Stimme, leise, verzweifelt.
    »Komm her! Was machst du hier?«
    Sie ging zu ihm. Legte kurz den Kopf an seine Schulter, wie ein Tier, das Witterung aufnimmt. Bei Hanno hatte sie immer gewußt, was zu tun war. Fast immer.
    »Wir müssen den da runterkriegen! Seine Bücher sind halt verloren, es hilft nichts, wenn er es doch nur einsehen würde.«
    Ein Krachen zerriß die Nacht, ein Bersten, ein Knall. Schucks Pferde wieherten schrill und stiegen. Und
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