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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe
Autoren: Gabriela Jaskulla
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warum. Was Julia an Zuneigung für Ladestein aufgebracht hatte, ersetzte sie nun durch Verbissenheit. Die Kälte machte nicht schläfrig und zufrieden, sie rieb vielmehr die Nerven langsam auf, führte zu einer angespannten, abwartenden Unruhe.
    Die Leute wurden mürbe, aggressiv. Einmal hörte Julia Jörgs zornige Stimme durch die dünnen Wände des Rungeschen Holzhauses, als sie vorbeiging. Jörg hatte Bücherkisten bestellt, sehr viele Bücherkisten mit kostbaren Lexikonbänden
in stattlicher Zahl. Er hatte sich ausgemalt, wie an den kalten Winterabenden alle in den Büchern mit dem verheißungsvollen Goldschnitt blättern würden, und nun konnten die Kisten nicht geliefert werden. Mady trug das mit Gleichmut. Eine Apathie bemächtigte sich ihrer, die Jörg rasend machte. Jörg wird als erster die Nerven verlieren, dachte Julia. Er sollte abreisen, irgendwie. Er sollte den Winter anderswo überstehen, in Sicherheit.
    Vielleicht zerrte dieser Februar so an den Menschen, weil alle spürten, daß der Winter es nicht mehr sehr weit treiben konnte, daß der März nicht mehr fern war mit seinen helleren Tagen, mit den ersten, noch unsicheren Sonnenstrahlen, die immerhin das Eis zum Schmelzen brächten und den Schnee. Die Luft war erfüllt von einem merkwürdigen Dazwischen in dieser ständigen Nacht. Das ganze Dasein bekam etwas Schwankendes, Unsicheres, und es war unmöglich zu sagen, wie der nächste Tag begönne. Eine Februarnacht! Der Winter bäumte sich ein letztes Mal auf, das war gewiß, aber wie viele verletzte Krieger erwies er sich als besonders gefährlich.

    Unlustig sortierte Julia ihre Stichwortkartei zu Ladesteins Biografie, drehte linierte Bögen hin und her, um bald hier und bald dort etwas zu ergänzen, und Anne sagte gerade: »Ich glaube, ich koche uns noch mal einen Tee!«, als es unten am Haus klopfte, so heftig und schnell hintereinander, daß Julia sofort an die Nacht dachte, als Anne sie geweckt hatte, weil Willems Stuten verschwunden waren. Genau so ein Pochen jetzt, genau dieselbe Angst vor der Tür. Sie rannte nach unten, noch bevor Anne sich überhaupt erhoben hatte.
    »Ja?!«
    Vor der Tür stand Hilda Minarek, bleich, zitternd.
    »Julia!«

    »Hilda! Was ist denn los?«
    Sie wollte die Frau ins Haus ziehen, da fiel sie ihr schon um den Hals und fing an zu schluchzen, so verzweifelt und schrecklich wie ein Kind, das man verlassen hat und das schon sehr lange weint. Aber Hilda wäre nicht sie selbst gewesen, wenn sie es nicht selbst in dieser Situation fertiggebracht hätte, alles Fürchterliche klar und präzise zusammenzufassen:
    »Jörg ist rüber zur großen Insel - mit Schuck und dem Pferdewagen. Aber es taut! Und Hanno ist hinterher!«
    Julia erschrak. Hinter ihnen tauchte Anne auf.
    »Was ist los?«
    Niemand war zu erreichen, der hätte helfen können. Malte - nicht da. Doktor Bohnen auf der großen Insel, der zumindest am Anleger hätte nachschauen können - verreist.
    »Was ist mit Jörgs Frau?«
    »Mit Mady?« Hilda lachte böse. »Die hat ja angerufen, sie war nur halb besorgt, die blöde Kuh. Aber Hanno war am Telefon, hat nur einen Blick auf das Barometer geworfen und ist gleich los.«
    »Wann war das?« fragte Anne sachlich.
    »Das war... das war... vor vier Stunden!«
    Jetzt weinte Hilda hemmungslos. Sie überlegten zu dritt. Faßten einen Plan. Zogen sich so vernünftig und warm an, wie sie konnten. Packten Rucksäcke: Thermoskannen mit heißem Tee, Butterkekse, Schnaps. Begutachteten Denver, den guten alten Denver, der vorn am Gartentor stand mit einem Ausdruck, als wüßte er, wie wichtig er war. Sie bandagierten die alten Beine, was sich der Wallach nur ungern gefallen ließ. Er war doch keine Memme, sagte das kluge Pferdegesicht und schaute noch irritierter, als Hilda ihn tätschelte, ein ums andere Mal.
    »Guter Junge! Bist ein Braver!«

    Denver tänzelte unruhig. Wie vielen wirklich guten Pferden dieses Schlages mißfiel ihm allzu viel Überschwang.
    Sie befestigten Gurte und Lederriemen am Sattel, schnallten noch eine große Wolldecke darüber, die Anne aus dem Schuppen holte. Es stimmte, der Wind hatte gedreht, wärmere Luft, feucht und klamm, kam von der Seeseite her über die Insel gekrochen, ein unruhiger Wind, der Dunstfetzen und dampfende Schwaden vor sich her peitschte.
    »Das gefällt mir nicht!« sagte Anne, während sie prüfend in die Dunkelheit schaute. »Das gefällt mir ganz und gar nicht!«
    Gemeinsam gingen sie zum Anleger am Bodden, schauten über die
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