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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch
Autoren: Eva Almstädt
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dazu herunter. Ein Schock wirkte sich auf unterschiedlichste Art und Weise auf die Menschen aus. Irma Seibel schien eher der aufbrausende Typ zu sein, der seine Gefühle in Aktionen verarbeitet. Sie hatte einen Korb mit Wollsocken mit in die Küche gebracht, stellte ihn auf dem Küchentisch ab und setzte sich. »Muss das sein?«, fragte sie, als Pia das Aufnahmegerät wieder einschaltete.
    »Es ist für uns einfacher. Wenn es Sie stört, dass wir das Gespräch aufzeichnen, können wir Sie auch in Lübeck befragen, wo dann jemand mitschreibt.«
    »Schon gut, schon gut!« Sie nahm eine bunte Wollsocke aus dem Korb und steckte ein Holzei hinein, dessen himmelblaue Farbe durch das Loch in der Ferse hervorlugte. Nach der ersten Verwunderung kam Pia das gar nicht so ungelegen. Sollte die Frau doch ihre Hände beschäftigen, wenn es ihr half, sich auf die Befragung zu konzentrieren. Socken zu stopfen war zumindest origineller, als zu rauchen oder mit einem Kugelschreiber zu spielen.
    Pia sprach die Angaben zu Datum, Uhrzeit und anwesenden Personen auf Band und ließ sich die Personalien der Frau nennen. Irma Seibel war vierundvierzig Jahre alt. Sie gab an, seit 2008 in dem Haus zu wohnen. Vorher hatte sie in einer Wohnung in Heiligenhafen gelebt. Sie sei nur die Mieterin, erklärte sie. Besitzerin des Anwesens sei eine Frau namens Maren Rosinski aus Weschendorf. »Die Rosinski wollte das Haus eigentlich verkaufen, aber sie ist es nicht losgeworden. Das ging über Jahre so. Ich hab es mir bei Inselaufenthalten immer wieder angeschaut und gesehen, wie es mehr und mehr verfiel. Irgendwann hab ich dann die Besitzerin darauf angesprochen. Die Einheimischen würden das Haus nicht mögen, hat sie mir erklärt. Deswegen kaufe es keiner. So ein Quatsch! Es war ’ne Ruine, als wir hier eingezogen sind. Aber deshalb war die Miete für mich bezahlbar. Zoe soll in und mit der Natur aufwachsen«, erklärte sie.
    »Wer ist 2008 alles hier eingezogen?«, fragte Gerlach.
    »Ich und meine Tochter. Dann noch der Arne, Arne Klaasen. Ohne ihn wäre es nicht möglich gewesen. Er ist ein guter Handwerker, wissen Sie. Und ein Typ namens Bart. Er hieß eigentlich Bartholomäus.«
    »Mit Vor- oder mit Nachnamen?«
    »Keine Ahnung. Ich hab keinen Untermietvertrag mit ihm abgeschlossen. Er ist hier untergekrochen und hat Arne bei den gröbsten Arbeiten geholfen. Als er anfing zu nerven, hab ich ihn rausgeworfen. Und es waren immer mal wieder Leute hier, für Wochen oder auch mal für ein paar Monate. So wie der Patrick, den ihr ja schon in die Mangel genommen habt.«
    Irma griff zum Stopfgarn und leckte das Fadenende an, bevor sie es durch das Nadelöhr bugsierte. Sie zog die zerlöcherte Socke über dem Holzei stramm und begann, sie zu stopfen.
    »Und wie war das mit Milena Ingwers?«, fragte Pia.
    »Was soll mit ihr gewesen sein?« Irma Seibels Stimme klang gepresst.
    »Nun ja. Immerhin liegt sie jetzt tot im Gemüsegarten. Jemand hat ihr den Schädel eingeschlagen«, sagte Gerlach.
    »Für euch ist das hier doch nur ein Job, nicht wahr?«, erwiderte sie bitter. »Was interessiert euch das Mädchen?«
    »Fangen wir von vorne an: Wann und wie kam Milena Ingwers zu Ihnen? Warum hat sie hier gelebt?«, fragte Pia, ohne sich von dem Vorwurf aus der Ruhe bringen zu lassen.
    Irma Seibel legte die Socke auf den Tisch und drückte ihre Fingerkuppen gegen die Schläfen. »Mein Kopf! Diese verdammte Schwüle bringt mich um.« Sie blinzelte angestrengt. »Milena kam im Mai zu uns. Um den Zehnten herum. Sie brauchte einen Ort, um sich zu sammeln. Sie brauchte Schutz.« Irmas Blick wanderte in Richtung Garten.
    Pia wusste nicht, ob man es von Irma Seibels Platz aus sah, aber sie selbst konnte durch das Fenster beobachten, wie der Leichnam der jungen Frau gerade in einem Zinksarg zum Leichenwagen getragen wurde. Der Boden unter den Füßen der Männer war so trocken, dass die ganze Aktion in eine leichte Staubwolke gehüllt war. Das Schutzzelt der Kriminaltechnik leuchtete weiß vor dem Hintergrund der dunklen Baumkronen. »Wovor brauchte Milena Schutz?«, fragte Pia eindringlich.
    »Vor den Forderungen und Repressalien der Gesellschaft im Allgemeinen. Vor ihren Eltern im Besonderen.«
    »Was ist mit ihren Eltern?«
    »Spießige, hinterhältige Schleimer, alle beide. Er ist eine Art Gärtnerei-Tycoon von Ostholstein. Macht Geld mit seinen langweiligen Wohlstands-Pflanzen. Buchsbaum für den Vorgarten, Weihnachtssterne im Advent ...«
    »Und die
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