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Ostseefluch

Titel: Ostseefluch
Autoren: Eva Almstädt
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jetzt die Anzahl der Nummerierungs-Schildchen, mit denen die Kriminaltechniker die Spuren zwischen den welken Salatköpfen markierten. Über die Köpfe der Kollegen von der Kriminaltechnik hinweg, die in ihren weißen Overalls schwitzten, fiel Pias Blick auf einen Mann, der mit in die Hüfte gestützten Händen am Einsatzwagen hinter der Absperrung stand. Ein Unbekannter, der in ein Gespräch mit Horst-Egon Gabler vertieft war. War das schon der neue Kollege, der ihnen angekündigt worden war? Sie hatte den Namen Manfred Rist nicht sofort zuordnen können, aber nun, da sie den Mann dort stehen sah, traf die Erinnerung sie wie ein Hieb in den Magen. Verdammter Mist! Ausgerechnet der! Rist hatte zwar etwas zugelegt, doch die Art, wie er den Kopf schief legte und sich dann im Nacken kratzte, während er mit Horst-Egon Gabler sprach, beseitigte jeden Zweifel. Bei ihrer letzten Begegnung hatte er langes Haar gehabt, das zu einem schmierigen Zopf zusammengebunden gewesen war. Nun trug er es millimeterkurz geschnitten. Im hellen Sonnenschein sah es mittlerweile mehr grau als braun aus.
    Ihr Zusammentreffen lag – Pia rechnete nach – inzwischen vier Jahre zurück. Die Begegnung war nicht gerade eine ihrer Sternstunden bei der Polizei gewesen. Aber für Manfred Rist war die Sache noch weitaus unangenehmer ausgegangen. Bei der Erinnerung an das, was sie ihm angetan hatte, spürte Pia, dass ihr Gesicht zu glühen begann. Und das lag nicht an der unbarmherzig auf sie niederbrennenden Nachmittagssonne.
    Eigentlich sollte ich froh sein, dass Rist zu uns gestoßen ist, meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Das Kommissariat 1 der Bezirkskriminalinspektion litt unter chronischer Unterbesetzung, woran Pia, die seit der Geburt ihres Sohnes nur noch Teilzeit arbeitete, nicht ganz unschuldig war.
    »Na, hast du ihn erkannt?«, fragte Gerlach, der sie anscheinend beobachtet hatte.
    »Mit Mühe. Es ist lange her. Er erinnert sich bestimmt nicht mehr an mich«, sagte Pia ohne Überzeugung. Über ihre erste Begegnung mit Rist hatte sich das ganze Polizeihochhaus amüsiert.
    Gerlach rang sich trotz der unablässig rinnenden Schweißperlen auf seiner Stirn ein Grinsen ab. »Nur wenn er unter fortgeschrittener Demenz leidet.«
    Pia zog eine Grimasse.
    »Aber er ist ja freiwillig zu uns ins Kommissariat gekommen«, sagte er feixend. »Entweder hat er dir verziehen, oder ...«
    »Oder was?« Sie zog eine Augenbraue hoch.
    »Er will noch eine Rechnung begleichen.«
    »Eigentlich kann sich Rist nicht beklagen. Statt langweiligem Vorstellungskaffee bekommt er bei uns als Erstes eine Leiche serviert.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
    »Und was für eine heiße!«, bemerkte Gerlach taktlos. »Jedes Kommissariat pflegt halt seine eigenen Rituale.«
    »Willst du damit sagen, wir halten uns gar nicht erst mit langen Vorreden auf?« Pia biss sich auf die Lippe. Das hatte sie bei ihrer ersten Begegnung mit Rist jedenfalls nicht getan. Es kam ihr mit einem Mal so vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie ihn in Broders’ Büro angetroffen hatte. Die Frage war, wie gut Rists Schmerzgedächtnis war.

2. Kapitel
    E in uniformierter Kollege geleitete Pia und Gerlach zum Hintereingang des Hauses, der geradewegs in die Küche führte. Der Mann, der die Tote gefunden hatte, saß mit gesenktem Kopf am Tisch.
    »Sind Sie Herr Grieger?«, fragte Pia.
    Er nickte matt.
    Pia stellte sich und Gerlach vor.
    »Patrick, du musst jetzt nicht mit denen sprechen, wenn du nicht willst«, sagte eine Frau, die im Hintergrund stand. Pias Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit im Haus zu gewöhnen. Die Frau war mittelgroß und üppig gebaut. Schwere Brüste und ein runder Bauch zeichneten sich unter einem Kleid mit Batikmuster ab. Ihr hennarotes Haar war aufgesteckt, doch wie alle hier war sie verschwitzt, und ein paar Strähnen klebten ihr auf der Stirn und im Nacken. Die Füße der Frau steckten in flachen Ledersandalen, um ihren Hals baumelten zahllose Ketten.
    »Und wer sind Sie?«, fragte Gerlach.
    »Irma Seibel. Ich wohne hier, wenn’s Ihnen nichts ausmacht.«
    »Wir werden Sie später auch noch befragen«, sagte Pia. »Aber als Erstes müssen wir mit Herrn Grieger reden. Hier in der Küche, wenn möglich.«
    Die Frau stellte den Kessel, den sie in der Hand gehalten hatte, langsam auf dem altmodischen Gasherd ab und musterte die Polizisten.
    »Wenn Sie jetzt bitte solange draußen warten würden«, forderte Michael Gerlach sie
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