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Ostsee-Storys

Ostsee-Storys

Titel: Ostsee-Storys
Autoren: Michael Augustin
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und ’76! Auf den ersten Blick allerdings wunderte ich mich schon ein wenig darüber, die Druckseite mit dem Konterfei der ebenfalls zum Festival nach Dublin eingeladenen dänischen Dichterin Inger Christensen illustriert zu sehen. Auf den zweiten und alle weiteren zunächst noch ungläubigen, aber dann ganz gewissen Blicke dämmerte mir, dass es hier in den redaktionellen Abläufen der Zeitschrift zu einem geradezu unfassbaren Fauxpas gekommen sein musste: Mein Interview, meine sämtlichen in dem halbstündigen Telefoninterview gemachten Aussagen waren nicht etwa mir, sondern der sechsundsechzigjährigen dänischen Dichterin Inger Christensen zugeschrieben und in den Mund gelegt worden! Sie, so konnte man dort lesen, eine gebürtige Lübeckerin übrigens, was mir so auch noch nicht bekannt war, und damals Studentin der Volkskunde und Anglistik in Kiel, habe 1975/76 mithilfe eines Stipendiums an der Alma Mater des James Joyce studiert und in Dublin allerlei interessante Bekanntschaften gemacht. Auch habe sie damals die Veröffentlichung ihres allerersten Lyrikbandes in einem Schweizer Verlag, sie sei damals gerade dreiundzwanzig Jahre alt geworden, mit Dubliner Freunden in der Kneipe Timmon’s gefeiert!!! Kein Zweifel: Der dänischen Poetin Inger Christensen war meine eigene Geschichte verpasst worden, und zwar von A bis Z.
    Dass mir am folgenden Tage, unmittelbar vor meiner Lesung im Dublin Writers’ Centre, ein Fax des Chefredakteurs jener einschlägigen Zeitschrift überreicht wurde, in welchem er beteuerte, angesichts dieser unerklärlichen Verwechslung, die redaktionsintern selbstredend Konsequenzen haben werde, außer sich zu sein, habe ich seinerzeit als schwachen Trost empfunden, denn außer mir war ich schließlich selber.
    Inger Christensen, deren eigene Lesung auf dem Dubliner Festival erst nach meiner Abreise stattfand, habe ich bei jener Gelegenheit leider nicht getroffen. Erst ein paar Jahre später sollte ich sie kennenlernen und habe ihr natürlich von der einseitig vertauschten Biografie erzählt, während sie mich durch ihre dicken Brillengläser betrachtete und am Cognacgläschen nippte. Wie alt soll ich 1976 gewesen sein?, fragte sie. Na, dreiundzwanzig , sagte ich. Sie sah mich schweigend an, während ihr der Rauch aus Mund und Nase quoll und sie in eine Wolke hüllte. Ist doch eine schöne Geschichte!, hörte ich sie durch den grauen Schleier sagen. Eigentlich komisch, aber das fand ich in diesem Moment auch.



Schweden
    Wer in Kiel studiert und auch noch, wie ich damals, unweit der Förde seine Bude hat, der ist unablässig den Versuchungen der Typhone und Schiffssirenen ausgesetzt, denn bevor die Pötte losmachen vom Skandinavien- oder Oslokai, geben sie Laut. Ein paar Mal habe ich nicht widerstehen können und bin einfach Hals über Kopf mitgefahren zum Studentenrabatt, den konnte ich mir gerade noch leisten, auch wenn es dann in Göteborg oder Oslo immer verflixt teuer wurde nach der Ankunft. Im Februar 1976, als mein Freund Hannes und ich an Bord eines Stena-Liners gegangen waren, hatten wir einen einigermaßen ausgefeilten Plan im Kopf: Wir wollten nach Västerås trampen und dort den greisen Anarchisten Ivan Faludi besuchen, der im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco und Stalin gekämpft hat und der als junger Journalist in Berlin sogar noch Wladimir Majakowski persönlich begegnet ist.
    Ja, ja, sagte Ivan, in Schweden sorgt der Staat für seine ollen Anarchisten! Und wollte sich schier ausschütten vor Lachen in seiner kleinen, aber feinen Sozialwohnung, in der wir ein paar Tage und Nächte in seiner Gesellschaft verbringen durften, hingerissen und entflammt von seinen irrsinnigen Lebensgeschichten. Danach guckten wir uns ein bisschen in Uppsala um, der alten Uni-Stadt mit ihren göttlichen Studentinnen, besuchten die frühmittelalterlichen Königsgräber von Gamla Uppsala und erreichten schließlich Stockholm. Wir hatten uns nämlich in den Kopf gesetzt, ein veritables Interview mit Olof Palme zu führen, der es als unüberhörbare Stimme der Blockfreien gerade mal wieder den Amis gezeigt und der als einer der Ersten sein Land für die Flüchtlinge aus Chile geöffnet hatte, als in Deutschland noch über Quoten gezankt wurde und einige unserer Politiker kein Hehl aus ihrer Sympathie für den Diktator Pinochet und seine Mörderbande machten.
    Im Parteibüro der Socialdemokraterna empfing uns ein gewisser Carlsson, Bernt Carlsson, Parteisekretär für Internationales, und musste
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