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Ostsee-Storys

Ostsee-Storys

Titel: Ostsee-Storys
Autoren: Michael Augustin
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Ein Herr im weißen Anzug reihert direkt vor sich auf das Tischtuch, und ein paar Gören brüllen wie am Spieß. Es ist, das kann ich sagen, ungemütlich geworden. Muss man sich Sorgen machen?, frage ich den Stewart, der sich mit mir an derselben Säule festhält. Najaaa …, sagt er. Mit langem a: Najaaa. Das klingt nicht gut. Und jetzt scheinen die Maschinisten auch noch Fahrt rauszunehmen, was die Schaukelei, diese im Bauch deutlich spürbare Berg- und-Tal-Fahrt nicht eben angenehmer macht. Da sehe ich plötzlich die Mutter des Blödmanns, die völlig aufgelöst von Tisch zu Tisch stolpert und jetzt sogar der Länge nach hinschlägt. Der Stewart hilft ihr gleich wieder auf die Beine. Hans-Martin!, ruft sie, Hans-Martin! Mein Jungelchen! Hans-Martin! Womit sie natürlich den Blödmann meint, der tatsächlich nirgendwo zu sehen ist. Unter Deck nicht und offenbar auf Deck auch nicht. Die komplette Mannschaft ist nämlich schon auf der Suche nach ihm und durchkämmt das Schiff vom Kiel bis zu den Toppen. Aber Hans-Martin bleibt verschwunden, auch als draußen vor den Bullaugen, wo sich der Sturm wohl langsam wieder zu legen beginnt, ein Schiff der dänischen Küstenwache zu erkennen ist, das mit Suchscheinwerfern die Wellen abtastet. Zwei dicke alte ostpreußische Omas kümmern sich um die Mutter des Blödmanns, und ich beschließe, mich jetzt auch an der Suche zu beteiligen. Gerade als ich aus einem der Niedergänge aufs Sonnendeck trete, gibt es einen ziemlichen Auflauf und ein gewaltiges Hallo bei einem der steuerbords in den Davits hängenden Rettungsboote. Nu kuckt euch das ma an!, brüllt einer von den drei Köchen, die offenbar auch mitgesucht haben, da hat der Kerl doch Schiss gekricht bei dem büschen Sturm, und is einfach schon mal unter die Persenning ins Rettungsboot geschlüpft! Ich fass es nich! Und tatsächlich, jetzt sehe ich ihn auch: Blauer Blazer, goldne Knöpfe – der Blödmann, wie er leibt und lebt, auf hoher See, hehe! Und da kommt schon seine Mutter angepest und feuert ihr Hans-Martin, Hans-Martin, mein Jungelchen! ab. Und was tut das Jungelchen? Mamá, ruft es, Mamá! Und der Koch sagt: Den Kerl würd ich kielholen! Und ich? Ich wär dann ziemlich gern dabei.

Meerjungfrauen
    Als ich eines Morgens ein paar Meilen östlich vor Gotland an Bord des unter färöischer Flagge fahrenden Kreuzfahrtschiffes Nörrenga von einem durch das Bullauge meiner Kajüte blitzenden Sonnenstrahl geweckt werde, bin ich mir nicht sicher, ob ich es geträumt oder in der vorausgegangenen Nacht tatsächlich mit eigenen Augen gesehen habe, wie nämlich Angehörige des Küchenpersonals in mehreren grobmaschigen Fangnetzen einen ganzen Schwarm leibhaftiger, mit ihren glänzenden Fischschwänzen um sich schlagender Meerjungfrauen oder auf jeden Fall doch sirenenartiger, eindeutig weiblicher Meereswesen über die Reling auf das Oberdeck gehievt und dort sogleich gnadenlos mit Knüppeln erschlagen haben.
    Hinreichend angewidert jedenfalls sehe ich mich gezwungen, während des auf den Abend anberaumten Captain’s Dinners auf sämtliche Fleisch- oder Fischgerichte zu verzichten und mich ausschließlich an Vegetarisches zu halten. Während ich aber eine spinatartige Substanz, bei der es sich auch um Seetang handeln könnte, wie Spaghetti um meine Gabel wickle, erinnere ich mich urplötzlich daran, dass die Farbe der bis über die Schultern reichenden Haare jener Meereswesen ebenfalls Grün war, und verzichte also lieber darauf, hier im Kreise dieser Kannibalen weiterzutafeln, und mache mich, wieder in meiner Kajüte liegend, über eine Tüte mit Schiffszwieback her, auch wenn der irgendwie nach alten Männern schmeckt.



Dackel royal
    Einmal, im Hafen von Kopenhagen, werde ich Augenzeuge, wie eine Barkasse von der draußen auf Reede liegenden Dannebrog , der Yacht der dänischen Königsfamilie, losmacht, Fahrt aufnimmt und direkt auf den Anleger zusteuert, auf dem ich gerade sitze und eine Zigarette rauche. Wenig später schon macht das Boot unmittelbar vor mir fest, und ein kleiner Hund, der königliche Dackel nämlich, watschelt über eine kurze Rampe, die ein Lakai routiniert ausgelegt hat, an Land, trottet zielstrebig hinüber zu einer schmächtigen Linde, hebt das rechte Hinterbein und strullt an den Stamm, bevor er, ohne mich eines Blickes zu würdigen, an Bord der Barkasse zurücktrappelt und sich wieder hinüberschippern lässt zur Yacht, auf der er lebt mit seiner Familie, der königlichen.

Ikke Inger
    Ich bin mir
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