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Ostsee-Storys

Ostsee-Storys

Titel: Ostsee-Storys
Autoren: Michael Augustin
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nicht sicher, ob sich schon mal ein Verleger dazu durchgerungen hat, eine Gedichtanthologie herauszugeben, in der ausschließlich solche Poetinnen und Poeten vertreten sind, denen gemein ist, dass sie etwas mit der Ostsee zu tun haben beziehungsweise an deren Gestaden geboren worden sind, wie zum Beispiel Tomas Tranströmer, Lars Gustafsson oder Bengt Berg aus Schweden, Paavo Haaviko aus Finnland, Hasso Krull aus Estland oder Tomas Venclova und Antanas Jonynas aus Litauen. Auf keinen Fall fehlen dürfte darin eine Dänin, deren Gedichte ich seit vielen Jahren schätze und mit der mich, auch über ihren Tod hinaus, etwas verbindet, an das ich eigentlich nicht gern erinnert werde: Inger Christensen.
    Ihr bin ich mehrmals begegnet, wenn auch nicht in Kopenhagen oder in ihrem Geburtsort Vejlefjord, so doch in Hamburg und in Bremen. Eine wahrlich atemberaubende Kettenraucherin und Cognactrinkerin, die stets etwas Vogelhaftes an sich hatte, wenn sie mich durch ihre dicken Brillengläser betrachtete bei unseren Plaudereien über ihr Heimatland oder meine Geburtsstadt Lübeck, die sie recht gut kannte. Das heißt, eigentlich war ich es, der plauderte, während sie skeptisch blinzelte und an ihrer Zigarette zog, die immer drei, vier Mal rot aufglühte, bevor die Asche auf das Sofa bröckelte.
    Keiner hat so eindringlich über den Tod und das Sterben geschrieben wie sie. Das schoss mir durch den Kopf, als mich die Nachricht von ihrem Ende erreichte, gestorben mit dreiundsiebzig in Kopenhagen. Und ich musste natürlich auch an das irrwitzige Zeitungsinterview denken, von dem ich jetzt doch einfach mal erzähle: Ich hatte eine Einladung bekommen zu einer Lesung auf dem Dublin Writers’ Festival. Nun muss man wissen, dass Dublin für mich so etwas wie eine zweite Heimat geworden ist, seit ich Mitte der siebziger Jahre dort an James Joyces Alma Mater studieren durfte. Und die irische Literatur ist mir geradezu heilig, wenn ich das als Agnostiker ausnahmsweise mal so ausdrücken darf. Nun also im Kreise einheimischer und internationaler Poeten und Romanciers ausgerechnet in Dublin, zweifellos eine der Welthauptstädte der Literatur, als Gast auf diesem Festival vor irischem Publikum eigene Gedichte vorlesen zu dürfen, ließ mein Herz bis zur Halskrause schlagen. Eine Dubliner Zeitung, die aus dem Munde der Veranstalter erfahren hatte, dass ich gewissermaßen eine irische, ja, eine Dubliner Vergangenheit vorweisen konnte und als Student just in den kulturell und politisch so bewegten Zeiten vor Ort mitten im Geschehen gesteckt hatte, erbat sich ein Telefoninterview, das man punktgenau zu meinem Auftritt in Dublin zu publizieren gedachte. Ein wunderbares Interview übrigens: Der junge Redakteur, mit dem ich das etwa halbstündige Telefongespräch führte, war begeistert von dem, was ich ihm erzählen konnte über meine frühen Begegnungen mit dem späteren Nobelpreisträger Seamus Heaney, über meine Lehrer an der Uni, zu denen Thomas Kinsella und Seán Ó Súilleabháin gehörten und der Bruder Flann O’Briens, über den Besuch beim Dramatiker John B. Keane in Listowel, über meine Freundschaft zum Dichter und legendären Radiomann Pearse Hutchinson, zum Märchensammler Michael J. Murphy und den Gebrüdern Sheridan, von denen der eine längst ein weltberühmter und oscarbepreister Filmregisseur geworden ist. Du hast ja richtig hektische Flecken gekriegt!, sagte meine Frau, als ich nach Ende des Telefonats mit fusseligem Mund aus meinem Arbeitszimmer im Souterrain die Treppe hinaufgestapft kam. Das Interview hatte mir Spaß gemacht, kein Zweifel, und ich stellte mir schon vor, wie sich bei meiner Dubliner Lesung, angelockt durch das Zeitungsinterview, lauter alte Freunde und fast schon vergessene Mitstudenten aus den alten Tagen die Klinke in die Hand geben würden, um anschließend in der Palace Bar ein feuchtfröhliches Wiedersehen zu feiern.
    Kaum war ich auf dem Dubliner Flughafen gelandet, steuerte ich einen Zeitungsstand an und kaufte mir ein druckfrisches Exemplar der Zeitschrift, in der ich mit einiger Sicherheit mein Interview würde lesen können. Diszipliniert meine Neugier unterdrückend, schaffte ich es sogar, die Zeitschrift so lange ungeöffnet zu lassen, bis ich die Innenstadt erreicht und mit einem Pint Guinness in der Hand in meiner alten Stammkneipe Doheny & Nesbitt’s auf einem Barhocker Platz genommen hatte. Da war es also, das Interview! Meine nun sogar schriftlich manifesten Erinnerungen an die Jahre 1975
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