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Ostsee-Storys

Ostsee-Storys

Titel: Ostsee-Storys
Autoren: Michael Augustin
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schon ein bisschen grinsen, als wir ihm unser Anliegen unterbreiteten. Na, ihr seid mir ja ein paar tolle Journalisten! Ohne Anmeldung, ja? Einfach mal eben ein Interview mit dem Ministerpräsidenten? Kurzum: Olof Palmes Terminkalender war voll. Bernt Carlsson gab uns seine Visitenkarte und meinte, die meisten unserer Fragen könne wahrscheinlich auch er beantworten, wir sollten ihn doch einfach anrufen, wenn uns danach sei. Dass wir doch ziemlich gewitzte und trickreiche Jungjournalisten waren, die sich nicht so ohne Weiteres von ihren Plänen abbringen lassen wollten, stellten wir dann am nächsten Tag unter Beweis: Wir begaben uns zum Amtssitz des schwedischen Ministerpräsidenten, zeigten dort die Visitenkarte Bernt Carlssons vor und behaupteten einfach, er habe uns geschickt und für uns einen Termin mit Olof Palme arrangiert. Tatsächlich saßen wir wenig später in dessen Vorzimmer – und zwar ganz allein, denn die freundliche Sekretärin hatte den Raum verlassen und noch kurz gesagt, der Ministerpräsident telefoniere gerade, wir sollten uns einfach ein paar Augenblicke gedulden. Nach einigen uns doch etwas mulmig machenden Minuten öffnete sich schwungvoll die Tür des Arbeitszimmers, und Olof Palme stand vor uns, ein paar Mappen unter dem Arm und offensichtlich im Begriff, zu irgendeinem Termin zu eilen.
    Ja?? Ein Interview? Nej. No time, no time! Aber er mache uns einen Vorschlag: Wir sollten uns doch an seinen Genossen Carlsson wenden, im Parteibüro der Sozialdemokraten. Der wisse prächtig Bescheid. Und wenn die Sekretärin zurückkomme, dann könne sie ja gleich mal für uns bei ihm anrufen, dem Bernt Carlsson. Und er müsse jetzt dringend in eine Sitzung. Wohl weil ich ihm, dem Sohn einer Deutschbaltin, gleich bei der Begrüßung gesagt hatte, ich sei gebürtiger Lübecker, drehte er sich im Hinausgehen noch einmal um: Und schöne Grüße an Willy Brandt! Dann war er verschwunden. Kontakt zu Bernt Carlsson haben wir lieber nicht noch einmal aufgenommen, damals in Stockholm, als Olof Palme noch zehn Jahre Lebenszeit vor sich hatte, bevor er 1986 in der Innenstadt von Stockholm erschossen werden sollte. Zwei Jahre, bevor auch Bernt Carlssons Leben auf gewaltsame Weise endete, an Bord von Pan Am 103 , am Himmel über dem schottischen Städtchen Lockerbie.

Begegnung in Riga
    Nicht lange vor den großen Umbrüchen im Baltikum, als Lettland aber noch Teil der Sowjetunion ist, stoße ich während eines ausgedehnten Spazierganges durch die alte Hansestadt Riga im nachmittäglichen Dämmerlicht am Rande eines tief verschneiten Parks auf eine Ansammlung ausnahmslos älterer Damen und Herren, die in Reih und Glied Aufstellung genommen haben und sich einzig darin ergehen, in die trotz der Kälte unbehandschuhten Hände zu klatschen, hartnäckig, unermüdlich, ohne Unterlass, und einander durch fordernde, keinesfalls freundliche, eher lauernde, regelrecht vergiftete Blicke offenbar gegenseitig anzuspornen. Ich sehe mir dieses Schauspiel, für das ich keinen Anlass zu entdecken vermag, eine Weile an und setze meinen Weg schließlich fort. Als ich spät in der Nacht die Stelle ein zweites Mal passiere, höre ich schon von ferne das rhythmische Klatschen und finde die Gruppe in sowohl unveränderter Formation wie auch bei unveränderter Tätigkeit vor. Auch am nächsten Morgen und während der folgenden Tage meines zur Neige gehenden Aufenthalts in der lettischen Ostseemetropole passiere ich die alten Herrschaften mehrmals, bis ich mir endlich ein Herz fasse und unter Zuhilfenahme meines Wörterbuches einen Passanten anspreche und um eine Erklärung bitte. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei den alten Damen und Herren um die überlebenden Delegierten des XIX. Parteitages der KPdSU, des allerletzten, der noch unter der Führung Josef Stalins abgehalten worden sei. Damals habe es sozusagen zur überlebenswichtigen Etikette gehört, nach der Rede des großen Führers buchstäblich stundenlang Hände klatschend Beifall zu zollen und diese Tätigkeit auf gar keinen Fall früher abzubrechen als die jeweiligen Vorder-, Hinter- oder Nebenleute, was nämlich als Kritik aufgefasst worden und damit purer Selbstmord gewesen wäre. Aber Stalin sei doch seit Jahrzehnten tot, wende ich lachend ein. Das glauben Sie, sagt daraufhin der Mann, blickt sich, durch meine Worte offensichtlich in Panik versetzt, erschrocken nach allen Seiten hin um, schlägt seinen Mantelkragen hoch und schreitet eilig davon. Beim Gehen, das kann
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