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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Ereignisse irgendwelche Talgdrüsen in ihrer Kopfhaut geöffnet hätten.
    Sie kam ihm jetzt jünger vor, fast mädchenhaft. Ihre Lippen waren schmal und ungeschminkt. Ihre Augen verschleiert. Vermutlich hatte sie erhöhte Temperatur.
    Ubbo Heide nahm einen kleinen Schluck Wasser. Das ostfriesische Leitungswasser war seiner Meinung nach besser als die meisten Mineralwassersorten, die man kaufen konnte.
    Ubbo Heide trank täglich mindestens einen Liter in kleinen Schlucken. Dies hier war leider noch zu kalt. Er wärmte das Glas zwischen beiden Händen und hörte Anns Redeschwall zu. Die Wortkaskaden prasselten auf ihn nieder wie ein Wolkenbruch
im Herbst und endeten mit der Forderung: »Ich verlange eine Obduktion.«
    Dann sah sie ihn lange regungslos an.
    Der Nordwestwind blies durch das hinter ihr gekippte Fenster herein und brachte Bewegung in ihre Frisur.
    Ubbo Heide hatte sich angewöhnt, schwierige Gespräche so zu führen, dass er zunächst einmal in einer Zusammenfassung wiederholte, was sein Gegenüber gesagt hatte. So versuchte er, nicht nur Missverständnisse auszuschließen, er gab seinen Gesprächspartnern auch die Möglichkeit, die eigenen Ansichten und Darstellungen distanziert anzuhören, um sie vielleicht zu revidieren. Was als kompliziertes Streitgespräch begann, endete durch seine Verfahrensweise oft als harmonischer Meinungsaustausch.
    Auch jetzt setzte Ubbo Heide auf diese Karte. Das Problem war, Ann Kathrin kannte seine Gesprächstaktik und damit war etwas verbunden, das sie heute stinksauer machte. Sie hatte im Laufe der Jahre viel von ihm gelernt, auch wenn sie es nicht gerne zugab, aber sie wollte sich nicht in seiner trainierten Weise behandeln und beeinflussen lassen. Sie kannte diese Art der Gesprächsführung auch von ihrem Exmann Hero. Zu gerne hatte der Herr Psychologe sie so in die Rolle der Patientin gedrängt, statt sie als Ehefrau ernst zu nehmen, deshalb blubberte ihre Magensäure schon, als Ubbo Heide begann.
    Er bemühte sich, verbindlich zu lächeln. »Liebe Ann, wenn ich dich richtig verstanden habe, dann hast du Fotos von deinem Vater gesehen, die ihn an verschiedenen Orten mit einer gewissen Isolde Klocke zeigen. Du folgerst daraus, dass dein Vater eine Geliebte hatte. Er gab sich als Diamantenenhändler Ludwig Stein aus. Deine Mutter hat nie etwas davon erfahren oder sie war klug genug, wie die meisten Ehefrauen ihrer Generation, so zu tun, als wüsste sie nichts, und dabei hoffte sie natürlich, dass die Affäre bald vorüber sein würde. Seine Geliebte
kam vor Spiekeroog bei einer Wattwanderung ums Leben. Ende der Geschichte. Wieso soll jetzt die Mutter von Isolde Klocke ermordet worden sein?«
    Ann Kathrin Klaasen schluckte. Sie war wütend auf Weller, sie fand, Frank hätte jetzt bei ihr sein sollen. Warum stand er ihr in dieser Situation nicht zur Seite? Müdigkeit. Nachtdienst. Das waren alles nette Ausreden, wenn man sein Fehlen bei einer Geburtstagsparty entschuldigen wollte, aber das hier war von elementarer Bedeutung für sie, und Frank wusste das.
    Sie fühlte sich, als sei sie gerade noch barfuß und gut gelaunt bei einer geführten Wattwanderung über sicheres Sandwatt gelaufen, und nun sank sie, allein gelassen, bis zur Hüfte in Schlickwatt ein und scharfkantige Muscheln schnitten in ihre nackten Füße.
    »Erstens«, sagte sie, »war Frau Klocke quietschfidel, als ich sie traf. Sie gab mir die Fotos, und wenige Stunden später, bevor sie mir mehr erzählen konnte, war sie tot.«
    Ubbo Heide zog die Stirn demonstrativ in Falten. »Quietschfidel. Nettes Wort. Sie war fünfundsiebzig. Du hast sie im Wartezimmer einer Arztpraxis getroffen. Überdenk doch mal deine eigenen Worte, Ann.«
    »Ich habe bereits mit Dr.Wolter telefoniert. Frau Klocke litt keineswegs an einer lebensbedrohenden Krankheit.«
    Ubbo Heide blätterte in Papieren, die auf seinem Schreibtisch lagen. »Sie lag im letzten Jahr insgesamt einunddreißig Tage in der Ubbo-Emmius-Klinik in Norden. Sie hatte zu hohen Blutdruck und zwei Schlaganfälle. Ann, du steigerst dich da in etwas hinein. Glaub mir, du vergaloppierst dich gerade. Dein Vater ist tot. Seine Geliebte ist tot. Niemand hat ein Interesse daran, die Beziehung der beiden zu verheimlichen oder auffliegen zu lassen. Das alles ist lange her. Niemand begeht deswegen einen Mord an einer alten Dame.«
    Ann Kathrin Klaasen stöhnte und formulierte noch einmal
ihren Verdacht, den Ubbo Heide bei seiner Zusammenfassung weggelassen hatte.
    »Ich habe
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